Ist Trauer egoistisch?

  • Die Frage, die ihr im Titel seht, ist etwas, das mich zuweilen sehr beschäftigt.
    Ich habe mal eine halbgare Diskussion mit einer Freundin darüber geführt, ob die Trauer über einen verstorbenen Verwandten und/oder Freund egoistisch ist oder nicht (halbgar, weil ich mal wieder zum größten Teil nur zugehört und erstmal die Meinungen aufgenommen, aber nicht direkt widersprochen habe ^^").



    Wie seht ihr das?
    Ist es wirklich egoistisch, zu trauern/zu weinen? Dem Verstorbenen nützt es ja nichts mehr. Und beweint man nicht den Verlust, unter dem man (eben hier: man selbst, nicht der Tote) leidet?
    Würdet ihr trauern?
    Oder würdet ihr es nicht tun, um die schönen Erinnerungen an die verstorbene Person nicht zu verderben?



    Ich habe selbst dazu eine Meinung, aber ich bin gespannt auf eure Antworten und halte deshalb mit meiner erst einmal hinter'm Berg! :D


    "She wasn't waiting for a knight.

    She was waiting for a sword."


    - Atticus

  • Alles was wir tun ist in gewisser Weise egoistosch. Wir tun es weil wir es wollen. Selbst wenn man Geld spendet, tut man es, weil man sich dann besser fühlt. Egal was man macht, man macht es weil man es selber will, und wenn man es nicht will, weil man z.B. gezwungen wird, macht man es ja auch nicht aus Nächstenliebe. Also streng genommen ist alles egoistisch, selbst wenn man anderen Menschen hilft und dabei selber auf vieles verzichtet, da man es tut um sich besser zu fühlen.


    Allgemein bedeutet aber "egoistisch sein", nur an sich zu denken. Und wenn man nach der Definition geht, ist trauern natürlich nicht egoistisch. Vom Trauern profitiert nur der Trauernde, aber es zeigt halt dass derjenige nicht nur an sich denkt.


    Kommt also drauf an, wie man es genau definiert.

  • Ich finde es schwierig einen natürlichen und guten Verarbeitungsprozess als egoistisch zu betiteln.
    Schließlich trauert man nicht, um sich in Selbstmitleid zu suhlen oder um alles um sich her zu vergessen. Aber ich stimme zu, dass es auch dem Betrauterten nicht viel bringt, wenn Menschen um ihn weinen^^"
    Ich denke bloß, dass Trauer ein Heilprozess ist. Manchmal sind Menschen uns so wichtig, dass ihr Ableben eine riesige Wunde aufreißt und eine derartige Veränderung im eigenen Leben MUSS erstmal akzeptiert werden und schließlich dann geheilt. Sie kann aber nur heilen, wenn man sich seinem Verlust stellt aka trauert und dazu gehört es, wenn es einen schmerzt, zu weinen.
    Ich halte es nicht für egoistisch, sondern für ehrlich und richtig, denn man trauert nicht (zumindest nicht wenn es ein gesunder Trauerprozess ist), um sich abzuschotten, sondern um sich zu heilen, um klar zu kommen. Genau genommen tut man damit seiner Umwelt mehr Gutes, als wenn man den Schmerz, den man fühlt vor allen versteckt.


    Wenn ich ehrlich bin erwarte ich ja schließlich auch, dass ein Hinterbliebener trauert. Und sollte er das nicht tun, sich zwingen zu lächeln, weil der Verstorbene (der davon ja nichts mehr mitkriegt) das so gewollt hätte oder meinetwegen auch, weil ein Verwandter o.ä. meint er hätte es gewollt und ich ihm nicht auf den Schlipps treten will oder ich die Erinnerungen nicht verderben will... was auch immer... verschließt er sich vor denjenigen, die Teil seines Lebens sind. Er schottet sich ab, schließt alle aus, jeder weiß, dass er trauern sollte, weil es einfach natürlich ist, aber alle werden weggestoßen - ob absichtlich oder nicht. Aber sobald man anfängt zu schauspielern sperrt man die Welt aus. Und ich denke damit tut man sehr viel mehr Menschen weh und es ist wesentlich egoistischer.


    Und zur letzten Frage - ich habe nicht viele Menschen verloren, aber meinen Großvater vor nicht ganz einem Jahr. Und ich habe getrauert - nicht ansatzweise so viel, wie es hätte sein müssen, weil ich ein Mensch bin der ständig versucht für alle zu funktionieren und weil ich nicht wollte, dass meine Mutter, die sich selbst zusammengerissen hat, nun auch noch mich trösten müsste. Bin mehr der Do-it-yourself-Mensch xD Im Endeffekt bereue ichs, weil ich es eigentlich so empfunden habe, dass man sehr viel besser und schneller über einen Verlust hinweg kommt, wenn man gemeinsam weinen kann - und ich denke das waren tatsächlich die aufrichtigsten und unberedet verständnisvollsten Momente innerhalb unseres Familienlebens.
    Und ich kann auch sagen, dass es die schönen Momente nicht im Ansatz ruiniert hat. Im Gegenteil, ich habe manche Dinge viel mehr schätzen gelernt. Und natürlich ist es traurig, dass man im Nachhinein erkennt wie wertvoll die kleinsten Gesten waren und dass sie nie zurück kommen... Aber diese Traurigkeit ist heilsam. Man mag es egoistisch nennen, wenn man mag, immerhin ist es - wie bereits gesagt - ein persönlicher Heilprozess, aber ich denke der Begriff ist fehlleitend in diesem Zusammenhang, denn Egoismus ist zu stark negativ geprägt. Und alles andere wäre meines Erachtens nach noch egoistischer.
    Vielmehr ist gesunde Trauer der Weg, den man gehen muss und vor allem mit anderen gehen muss.
    Also: Egoistisch nein. Persönlich und die eigene Person, die eigene Zukunft bzw das eigene Leben betreffend: ja^^ Es ist definitiv kein Prozess der Nächstenliebe aber das liegt ja auch nicht im Sinn der Sache^^


    Was da raus fällt ist ungesunde Trauer, eine, die nie aufhört und irgendwann zu Selbstmitleid wird, aber so wie ich verstanden habe, ging es bei euch um den normalen Trauervorgang oder?^^

    "Fedrig stark sind meine Schwingen
    Und obwohl ich schwer wie Blei
    Kannst du mich nicht mehr bezwingen,
    Bin ich endlich federfrei. "


  • Ich kann mir zwar vorstellen, dass es egoistisch ist, einer Person nachzutrauern und zu sagen, dass sie es nicht verdient hätte zu sterben oder was weiß ich, jedenfalls ist es in dem Sinne egoistisch, wenn es der Person im Leben schlecht ging, nehmen wir mal an, dass die Person unter einer Krankheit litt, die das Leben unnötig beschwert hat, und an der Stelle zu sagen "Sowieso hätte nicht sterben sollen, ich will sowieso zurück", DAS wäre egoistisch.
    Ich mein klar, wenn man jemandem nahe steht, dann will man diese Person nicht verlieren, aber man muss in dem Fall dann auch einfach sagen "Es ist besser, dort wo XY jetzt ist, geht es ihm/ihr besser"


    Ansonsten würde ich nicht behaupten, dass es egoistisch ist.. ich meine.. wenn jemand nicht trauern kann, dann sollte man vielleicht mal zum Gehirn Doktor?

  • Ehrlich gesagt hat eine Antwort auf diese Frage für mich ohnehin keine Bedeutung. Wenn ich Trauer fühle und zeige, dann tue ich das, weil es zu mir gehört. Wenn plötzlich etwas fehlt, was stets da war, dann fühlt man sich nicht mehr vollständig, dann erlangt die Welt um einen herum eine neue Bedeutung. Die Bestätigung, dass die wichtigen Dinge für immer bleiben werden, schwindet für einen Moment und irgendwann begreift man die Reichweite dessen, was Vergänglichkeit heißt. Wir alle klammern uns an die Vorstellung von Ewigkeit - vielleicht nicht bewusst, aber wir tun es. Denn kein Mensch geht zu jeder Zeit mit dem Gedanken durch den Tag, die Welt am nächsten Morgen ganz anders vorzufinden. Diese Erwartung verspricht uns Sicherheit. Mit anderen Worten: Wären wir ständig mit der Angst und dem Bewusstsein konfrontiert, dass alles Bekannte irgendwann nicht mehr existiert, zerbrächen wir an dieser Unbestimmtheit.
    In Selbstvergessenheit zu leben, ist die einzige Option, die bleibt; sie liegt quasi in der menschlichen Natur. Wir nehmen viele Dinge mit Absicht nicht wahr, da unser geistiges Vermögen begrenzt ist und nur selektieren kann. Alles andere würde unsere Vorstellungskraft sprengen, wie es so schön heißt. Und damit ist auch Trauer ein auf diese Situation abgestimmtes Gefühl. Trauer zeigt uns, dass etwas nicht in seiner üblichen Bahn verläuft. Sie zeigt uns, wie hilflos wir gegenüber dem Lauf der Dinge eigentlich sind.


    The lilies are fading.


  • Trauer würde ich nicht als egoistisch abstempeln. Das ist etwas, das jeder fühlen kann, es gehört zur Natur des Menschen dazu, Gefühle zu haben und diese auch zu zeigen.
    Allerdings würde ich sagen, Trauer kann egoistisch sein, muss es aber nicht. Beispielsweise wenn man über Dinge jammert oder ihnen nachtrauert, die nicht mal selbstverständlich sind. Nennt das jetzt meinetwegen First-World-Problems, ich kann es nicht genau beschreiben, so leid es mir tut.
    Ich hoffe aber man versteht einigermaßen was ich meine... Trauer an sich ist nicht egoistisch, wenn man etwas nachtrauert und es bei einer Person auslässt, die dies nie hatte, kann sie es aber sein - aber das ist mir seltenst passiert. Also ist nicht der Regelfall.


    Aber ohne Gefühle wäre es denke ich viel egoistischer. Das könnte dann bedeuten, dass nur man selbst sich etwas bedeutet und alles außerhalb einen nicht berühren kann, was dann meiner Meinung nach Egoismus wäre, da man sich selbst als Zentrum sieht.

  • Als meine Uroma verstorben ist habe ich auch sehr viel geweint, weil ich wusste wie sie leiden müsste und das ich sie nie wieder sehen würde. Ich finde wenn man weint weil jemand verstorben ist, dann zeigt man wieviel der Verstorbene einen bedeutet hat. Ich finde das eher traurig oder komisch wenn Mann nicht trauern oder weinen würde.

  • Ich muss ganz ehrlich sagen, bei Todesfällen in meiner Familie habe ich nicht viel geweint.
    Nur bei einen und das war meine kleine Nichte, sie ist ziemlich jung an einen Unfall, an dem keiner aus meiner Familie die Schuld war, gestorben und hatte noch nicht viel erlebt. Auf Deutsch sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich und wurde einfach so aus dem Leben gerissen. Aber auch bei Ihr habe ich erst am Schluss geweint einfach weil ich gesehen habe wie viele Menschen zu ihrer Beerdigung gekommen sind.. Ja und der Kindergartenleiter hat dann noch etwas über sie und ihren Charakter vorgelesen. Wisst ihr die Geschichte hat eigentlich nichts zur Sache, ich finde sie ist nur ein gutes Beispiel, ich hab einfach geweint, weil sie weiterleben hätte können und selber ihr Leben hätte führen können und es hat mich einfach unendlich traurig gemacht das sie das nicht durfte und alle anderen es eben schon dürfen. In solchen Fällen finde ich Trauer nicht egoistisch.


    In anderer Hinsicht ist Trauer immer eine Sache der Ansicht. Zum Beispiel bei einer Trennung, der eine trauert eventuell darüber und die andere Person ist unendlich erleichtert darüber.


    Ich glaube über das Thema kann man Stunden schreiben-

  • Dragosius

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