[SIZE=4]Story 1[/SIZE]
Schweigend saß sie am Fenster und schaute sich die Sterne an. Sie waren so schön, aber so weit weg. Sie wusste nicht, warum sie, Nacht für Nacht, am Fenster saß und wartete. Sie wartete und betete zum Mond.
Auch heute saß sie wieder da, während sie ihre Arme um ihre Knie schlang und sich ganz klein machte. Sie fühlte sich allein. Keiner war da, der sie in den Arm genommen hätte, um ihr zu sagen, dass sie nicht zum Mond aufzusehen braucht. Keiner war da, der ihr sagte, dass sie nicht allein zu sein brauchte. Keiner war da, der ihr zeigte, dass ihre Gebete erhört wurden.
So machte sie einfach weiter. Tag für Tag und hoffte. Hoffte darauf, dass die eine Person irgendwann kommen würde um sie zu erlösen, von ihrem alltäglichen Ritual.
Es war kalt, aber sie spürte die Kälte gar nicht, dabei zierten ihre nackten Arme schon eine Gänsehaut und sie zitterte leicht. Aber ihre Augen waren so starr auf den Mond gerichtet, dass selbst ein Orkan sie überraschen würde. Denn ihr Innerstes war aufgewühlt und so stürmisch, wie es draußen ruhig war.
Nur der Mond verschaffte ihr ein bisschen Frieden, von ihrem Gewitter an Alltag. Alles stürmte auf sie ein, wenn die Sonne schien. Sie ging durchs Leben ohne dass jemand ihr ansah, was wirklich in ihr vorging. Dabei war es so offensichtlich gewesen, als er ging.
Sie hatte die bittersten Tränen geweint, als er ihr einfach den Rücken zukehrte, ohne nochmal zurück zu sehen. Er war einfach so gegangen. Sie hatte es nicht glauben können, aber ihre Tränen hatten Bände gesprochen. Seitdem war sie nicht mehr sie selbst. Sie lebte, als wäre sie unter Wasser, sie fühlte nichts, sie ließ keine Gefühlsregung mehr zu. Sie war einfach taub. Sie war taub, bis der Orkan in ihr alles wieder an die Oberfläche brachte, dann schrie sie vor Verzweiflung, tobte und alles brach aus ihr raus, bis sie wieder unter Wasser flüchtete. Dort konnte ihr niemand weh tun. Dort war sie sicher und der Orkan in ihrem Inneren konnte ihr nichts tun. Sie war immer öfter unter Wasser, immer öfters schaffte sie es, tiefer zu tauchen, bevor der Ausbruch kam. So bekam ihn keiner mit.
Ihr Umfeld hatte sich daran gewöhnt, dass sie so war, wie sie war, ohne Emotionen. Ihre Freunde hatten es hingenommen und dann vergessen. Sie hatten vergessen, wie sie war, als er ging und nahmen an, dass sie schon immer so gewesen war. Dabei konnte sie sich noch an die Momente erinnern, wo sie voller Lebensfreunde gewesen war. Sie flackerten in ihr auf, wenn sie den Mond anschaute. Immer war er dabei gewesen. Nun war er fort.
„Ich komme wieder, irgendwann und hole dich. Solange bin ich dein Mann im Mond.“
Das waren seine Worte gewesen, bevor er ging. Er hatte sie angesehen und geküsst. Dann hatte er sich umgedreht. Seit dem waren drei Jahre vergangen und er war immer noch nicht hier.
Leise kullerten ihr drei Tränen über die Wange. Für jedes Jahr unter Wasser eine.
Sie wusste nicht, ob er wieder kommen würde. Jeder vernünftige Mensch hätte ihr ihr Warten schon seit Ewigkeiten ausgeredet. Aber es wusste ja keiner, dass sie wartete. So konnte es ihr auch keiner ausreden. Also wartete sie weiter, weil sie vergessen hatte, wie man aufgab.
Immer noch hing ihr Blick am Mond. Sie sah sein Gesicht darin, sie hatte in den drei Jahren keine Nuance seines wunderschönen Gesichtes vergessen. Sie würde sein Gesicht nie vergessen, niemals.
Kurz seufzte sie und wie als hätte die Zeit ihr Seufzen gedeutet klang aus weiter Ferne die Turmuhr zu ihr hinüber. Der Wind brachte ihr die Glockenschläge auf sanften Schwingen und verriet ihr, dass schon wieder ein Tag ohne ihn vergangen war.
Mit dem sechsten Schlag wendete sie ihre Augen vom Mond ab, mit dem siebten ließ sie ihren Körper von der Fensterbank gleiten. Leise schloss sie das Fenster und obwohl sie die Schläge der Uhr nicht mehr hören konnte, wusste sie instinktiv, wann die Uhr ihre Weiteren abgab.
Der letzte Glockenschlag begleitete sie in ihr eigenes Reich der Träume, dass ihr Bilder zeigte von einer Welt, die sie nicht mehr kannte, mit einem Menschen, der ihr ein Lächeln auf das Gesicht zaubern konnte und ihr immer wieder sagte, dass er vom Mond kam. Dann lächelte sie sogar im Schlaf, etwas was sie während des Tages verlernt hatte und zollte der Nacht ihren Dank, bevor sie wieder unter Wasser tauchen würde, mit einer Hoffnung, von der sie nicht wusste, ob sie sich erfüllten würde.
Nur das Wissen, dass der Mond jede Nacht am Himmel stand, zeigte ihr, dass auch er, irgendwann wieder vor ihr stehen würde, um sie aus dem Wasser zu ziehen, zurück in ihr Leben. So betete sie zum Mond, Tag für Tag.