Kamiwaza: Way of the Thief

Stilvolles Stehlen mit Remaster-Handicap.


Aufgrund einer (heutzutage unerklärlichen) Scheu vor spielerischem Anspruch, waren meine frühen Gaming-Jahre von stupiden Shootern und seichten Jump and Runs geprägt. Eine zurecht fragwürdige Einstellung, die mir die japanische Videospielschmiede Acquire mit ihrem legendären Erstlingswerk Tenchu: Stealth Assassins glücklicherweise austrieb. Und mich mit nachfolgenden Veröffentlichungen wie Way of the Samurai oder Shinobido: Way of the Ninja nachhaltig dazu animierte, noch tiefer in komplexe Gameplay-Welten einzutauchen.


Umso überraschter war ich, von Kamiwaza: Way of the Thief zu erfahren. Denn obwohl der PlayStation 2-Titel 2006 im Fahrwasser der bereits genannten Highlights erschien, blieb ihm die weite Reise in den Westen verwehrt. Ein bedauerliches Schicksal, das dank NIS America über 15 Jahre später endlich ein Ende finden sollte – immerhin wurden die japanischen Ketten gesprengt, wodurch einem Release auf der PS4, der Nintendo Switch und dem PC keine Hindernisse mehr im Weg lagen.


In der Hoffnung, an die nostalgischen Hochgefühle der Vergangenheit anknüpfen zu können, stürzte ich mich voller Vorfreude in das Langfinger-Abenteuer. Unverhofft schnell wurde ich bei meinem verruchten Treiben jedoch völlig ausgebremst, wofür sich ein simpler Umstand direkt als Hauptverantwortlicher herausstellte: der gnadenlose Zahn der Zeit, der ungezügelt scheinbar auch vor Meisterdieben keinen Halt machte.


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Ein Dieb mit Herz


Die Karriere als Meisterdieb hatte sich Ebizo zweifelsfrei anders vorgestellt. Eigentlich wollte er nämlich zum Robin Hood der Edo-Zeit aufsteigen, die Reichen also bestehlen, um den Armen durch ein schweres Leben zu helfen – natürlich frei jedweder Gewalt oder sonstiger aggressiver Methoden. Doch bereits sein allererster Raubüberfall gerät völlig aus den Fugen, stellt sein Leben somit gründlich auf den Kopf und lässt jegliche Pläne schlagartig zerplatzen.


Sah Ebizo die Mitglieder seiner Crew bei diesem ehrenhaften Vorhaben noch als loyale Verbündete an, wird er urplötzlich Zeuge, wie eben diese Verbündeten unschuldige Zivilisten erbarmungslos umbringen. Ein Schlüsselmoment, in dem er diesem Lebensweg den Rücken kehrt und gemeinsam mit der einzigen Überlebenden des blutigen Massakers, ein junges Mädchen namens Suzuna, in Richtung einer ungewissen Zukunft flieht.


Ein Jahrzehnt später konnte sich Ebizo erfolgreich von den Schattenseiten der Vergangenheit fernhalten und führt an der Seite der nun als seine eigene Tochter aufgenommenen Suzuna ein ruhiges und erfülltes Leben mit einem ehrlichen Beruf. Doch als Suzuna aus heiterem Himmel schwer erkrankt und sogar ums Überleben kämpfen muss, zerfällt dieses wundervolle Paradies, wodurch Ebizo erneut einen Pfad einschlagen muss, der für ihn gedanklich eigentlich bis in alle Ewigkeiten abgesperrt war. Um die teuren Medikamente finanzieren und seine Tochter retten zu können, kehrt er zu seinen diebischen Wurzeln zurück und durchforstet Mikado nach kostbarer Beute, die er seinem moralischen Kompass weiterhin folgend ergaunern kann.


Doch es bleibt abzuwarten, ob Ebizo beim Beschreiten dieses Weges seine ehrenhafte Einstellung tatsächlich aufrechterhalten kann oder für Suzuna nach und nach in einem moralischen Sumpf versinkt, der die löblichen Aspirationen hemmungslos in die Tiefe zieht.




Prügelnde Plünderungen


Als wahrer Fan der Way of the Samurai-Reihe kitzelte es mich natürlich in den Fingern, in Kamiwaza: Way of the Thief meine eigene diebische Erfolgsgeschichte schreiben und die größten Coups der Edo-Zeit durchziehen zu dürfen. Und zumindest bei der grundlegenden Gameplaystruktur waren einige Parallelen direkt erkennbar.


Nach einem kurzen Intro und der Vorstellung des narrativen Fundaments darf ich nämlich direkt das in verschiedene Gebiete unterteilte Mikado unsicher machen, um während der dynamisch ablaufenden Tag-und-Nacht-Zyklen wertvolle Kostbarkeiten in meinen Besitz zu bringen. Während sich Stealth-Freunde beim Umherschleichen aufgrund recht bekannter Mechanismen schnell heimisch fühlen dürften, läuft der eigentliche Verbrechensakt herrlich schräg ab. Anstatt mich lautlos an Zivilisten oder Wertgegenstände heranzupirschen, prügle ich mit meinem Furoshiki-Tuch unerbittlich auf diese ein und bringe die eingeblendete Gesundheitsleiste zum Nullpunkt, um meine Taschen erfolgreich zu füllen. Kein Wunder, dass der Titel dem Stealth-Action-Genre angehört.


Werde ich dann einmal doch beim frevelhaften Treiben ertappt, kann ich per Knopfdruck einen akrobatischen Radschlag zur Schau stellen und damit in Sicherheit hechten. Netter Nebeneffekt: Führe ich den Move korrekt aus, schalte ich automatisch in den Zeitlupenmodus, bringe Ebizo zum Glitzern (kein Witz) und kann temporär bedeutend effektiver Beute mit meinen Diebesgriffeln wegmopsen. Reihe ich mehrere Diebstähle aneinander, baue ich eine längere Kombo-Kette auf, die nicht nur gebührend gefeiert wird, sondern mich auch mit Style-Punkten belohnt. Diese werden dann in die Verbesserung meiner Fähigkeiten investiert, um – wer hätte es ahnen können – noch größere Dinger zu drehen.


Trotz all dieser speziellen Skills ist ein durchdachtes und vor allem vorsichtiges Vorgehen dennoch existenziell. Nehmen mich die patrouillierenden Wachen erst ins Visier, jagen sie mich unerbittlich durch die Gegend und vermöbeln mich anschließend nach allen Regeln der Kunst. Gegenwehr? Liegt Ebizo leider nicht, der rasant in die Knie geht und dabei all das zuvor ergatterte Diebesgut verliert. Und im schlimmsten Fall sogar im Gefängnis landet.




Langfinger-Freiheiten


Blind durch die Gegend zu streifen wird irgendwann allerdings auch für hochmotivierte Taschendiebe ungeheuer langweilig. Abhilfe schafft das in Mikado gelegene Badehaus, das nicht nur entspannende heiße Quellen, sondern auch das Hauptquartier für Verbrecher beherbergt und somit Dreh- und Angelpunkt von Kamiwaza: Way of the Thief darstellt. Ob ich nun eine neue Mission annehmen, meine Beute in Goldmünzen umtauschen oder mein Equipment aufstocken will – im Badehaus bin ich richtig!


Wer hinter dem Aufgabenepizentrum und der damit verknüpften Missionsstruktur ein lineares Abenteuer vermutet, ist auf dem Holzweg. Ähnlich wie in Way of the Samurai mögen einige Ereignisse zwar festgelegt sein, dazwischen darf ich allerdings meine eigene Geschichte schreiben und durch mein eigenes Handeln bestimmen, welches Ende Ebizos Rückkehr in die Diebeswelt nehmen wird.


Ausreichend Kohle anzusammeln, um Suzuna mit Medikamenten zu versorgen und ihr Leben zu retten, bleibt dabei zwar wenig überraschend das Hauptziel, würde ihr vorzeitiger Tod doch gleichzeitig das Game Over bedeutend. Davon abgesehen darf ich jedoch entscheiden, ob Ebizo als japanischer Robin Hood von der Bevölkerung Mikados verehrt oder als heimtückisch agierender Ganove gehasst wird. Konzentriere ich mich wirklich nur auf Suzuna oder agiere ich im knapp bemessenen Zeitfenster möglichst effektiv, um mit zusätzlicher Beute auch die Armut der Stadt per Spende zu bekämpfen? Nehme ich bei meinen Aufträgen Rücksicht oder verwandle mich zum amoralisch handelnden Straftäter? Manchmal sind es Kleinigkeiten, die die Weichen in Richtung Zukunft komplett umstellen können.


Und obwohl die alternativen Routen im direkten Vergleich gewiss nicht elementar unterschiedlich ausfallen, lädt Kamiwaza: Way of the Thief dennoch zu mehreren Durchgängen ein, wodurch die Gesamtspielzeit von knapp acht bis zehn Stunden zusätzlich aufgestockt wird. Dabei ist es spannend zu sehen, wie meine Handlungen und Vorgehenswesen meinen Ruf beeinflussen. Pfeife ich beispielsweise regelmäßig auf optische Tarnung und ein unsichtbares Auftreten, gleichen überall in der Stadt aufgehängte Gesucht-Schilder schnell einer lebensechten Fotografie von Ebizo. Eine von vielen Kleinigkeiten, die jedoch große Auswirkungen haben kann.




Misslungener Zeitensprung


Würde ich Gnade walten lassen und den Test an dieser Stelle beenden, dürfte sich Kamiwaza: Way of the Thief als wahrlich gelungener Stealth-Action-Geheimtipp mit spannendem Diebstahl-Twist bezeichnen. Leider scheinen sich weder Acquire noch NIS America beim ambitionierten Sprung in die Gaming-Moderne ausreichend Gedanken gemacht, die Remaster-Bemühungen aus unerfindlichen Gründen gar auf ein überschaubares Minimum beschränkt zu haben – und leiten damit einen tiefen Sturz in den Wertungsabgrund ein.


Dabei sind es schon die ersten Spielstunden, die ein gigantisches Versäumnis unterstreichen. Erwartet ihr bei eurem Einstieg in die gaunerische Welt nämlich ein ausführliches Tutorial, werdet ihr schwer enttäuscht werden. Stattdessen folgt auf rudimentäre Hinweise zumeist totale Verwirrung, die nicht selten in Hilflosigkeit und Frust mündet. Zahlreiche Aspekte werden einfach unter den Teppich des Schweigens gekehrt und der Spieler mit einigen wenigen Hinweisen auf die Spielwelt losgelassen, deren unterschiedliche Mechanismen viel zu lange undurchschaubar bleiben. Für PS2-Titel anno 2006 mag das Ganze noch akzeptabel gewesen sein, 2022 wäre an dieser Stelle ein Update jedoch verpflichtend gewesen.


Tapfer biss ich mich durch dieses Manko und verzeichnete trotz etwaiger Hürden auch erste Erfolge, donnerte dann allerdings schon gegen den nächsten Problemherd: eine gefühlt schlagartig einsetzende Abwechslungsarmut. Strenggenommen arbeite ich bei Kamiwaza: Way of the Thief nämlich nur den bereits ausgeführten Ablauf ab, wandere vom Badehaus also zu meinem Ziel und ergattere hier meine Beute, um zum Badehaus zurückzukehren und den Vorgang zu wiederholen. Sicherlich bringen kurze Shoppingtouren, Upgrades oder Besuche bei Suzuna einige Farbspritzer ins Spiel, können vom monotonen Gesamtbild jedoch nur schwerlich ablenken.


Würde mich diese Dauerschleife wenigstens mit ausreichend Motivation und Spielspaß überschütten, ließe sich diese Schwäche zumindest ansatzweise ignorieren. Doch auch das eigentliche Gameplay schlägt mir mit einem Brecheisen in Form zahlreicher Bugs regelmäßig gegen das Schienbein und erlaubt somit den direkten Angriff auf mein Nervenkostüm. Mit einer behäbigen Steuerung, nervigen Kameraproblemen, wenig hilfreichen Sichtbarkeitsindikatoren und einer unausgereiften Gegner-KI ist die Checkliste an verbesserungswürdigen Elementen unglaublich lang. Nur schade, dass diese beim (offensichtlich recht kurzen) Entwicklungsprozess wohl komplett aus den Augen verloren wurde.




Ein schwacher Hoffnungsschimmer im dunklen Wertungsabgrund


Nun hat sich Acquire nicht gänzlich auf die faule Haut gelegt und zumindest beim visuellen Aspekt Remaster-Magie wirken lassen, die primär bei den Schatten- und Wassereffekten sowie der fast durchweg stabilen Framerate sichtbar wird. Bedauerlicherweise verdienen auch diese Bemühungen kein ausschweifendes Lob, verkommen sie nach einem grafischen Rundumblick doch vielmehr zur Alibi-Tat, die vom vorherrschenden Minimalismus ablenken sollte.


Denn auch in dieser Form mutet Kamiwaza: Way of the Thief auf der Nintendo Switch eher wie ein betagter PS2-Titel an, der mit einigen Mods zwar geringfügig aufgefrischt wurde, seinen Konsolenursprung allerdings zu keinem Zeitpunkt verbergen kann. Dabei ergeben teils arg hässliche Charaktermodelle, triste Schauplätze, eine prädominierende Detailarmut sowie hölzerne Animationen ein antikes Bollwerk, das vielleicht in ein Videospielmuseum, aber definitiv nicht auf aktuelle Hardware gehört. Und weshalb sich ein über 15 Jahre alter Release mit 30fps begnügen muss, soll mir auch mal jemand erklären.


Es sind Probleme, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Abenteuer ziehen und die Intensität meines ungläubigen Kopfschüttelns aufgrund einer konstanten Vervielfältigung immer weiter verstärkten. Und obwohl die Zwischensequenzen gerne in unfreiwillige Komik abdriften, fast alle Synchronsprecher gefährlich nah am emotionalen Nullpunkt arbeiten und auch der eindimensionale Soundtrack nach kurzer Zeit an meinen Nervensträngen zerrt, strahlte die Stealth-Action dennoch eine merkwürdige Faszination aus, die mich an der Switch hielt. Ich weiß, nach der langen Auflistung an schwerwiegenden Defiziten kommt solch eine Aussage sicher überraschend.


Wie bereits bei Tenchu oder Way of the Samurai sorgt nämlich nicht nur das Umherschleichen, sondern auch das Einschlagen eines gewünschten Lebens- und Handlungswegs für Unterhaltung. Investiere ich in Medizin? Vielleicht doch lieber in das Volk? Und gehe ich gegen die Gesucht-Schilder vor? Oder zeige ich voller Stolz mein Gesicht und provoziere damit die Sittenwächter, um die Schwierigkeitsgrad zusätzlich nach oben zu kurbeln. Auf die positive Seite des Wertungsspektrums mag das Kamiwaza: Way of the Thief nicht bringen, sorgt aber zumindest dafür, dass beinharte Stealth- und Acquire-Freunde wenigstens einen vorsichtigen Blick riskieren dürfen. Dabei jedoch bereit sein sollten, sich zähneknirschend mit einer langen Reihe unschöner Ausfälle anfreunden zu müssen.


Und trotz dieses kleinen Hoffnungsschimmers kann ich den „aufgefrischten“ 2006er-Remaster (vor allem bei einem Neupreis von 40€) bei bestem Willen nicht als Kaufempfehlung und gar Pflichttitel im Stealth-Genre bezeichnen – sehr zu meinem Bedauern. Vielversprechend ist das Konzept nämlich allemal und könnte mit ausreichend Entwicklungszeit, einer modernen Engine und einem kompletten Gameplay-Neuanstrich problemlos zu einem Genre-Geheimtipp avancieren. Und ein Erfolg der nun endlich auch im Westen verfügbaren Variante wäre dementsprechend wünschenswert, um genau dieses Szenario realistisch erscheinen zu lassen. Doch ob das in dieser Form tatsächlich gelingen kann, wage ich zu bezweifeln.


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Fazit


Mit Kamiwaza: Way of the Thief hat Videospielschmiede Acquire 2006 ein vielversprechendes Stealth-Action-Abenteuer erschaffen, das die zuvor gelungene Way of the Samurai-Formel mit einem spannenden Diebestwist verknüpfte und ein weltweiter Geheimtipp hätte werden können. Dass der Titel über 15 Jahre später die japanische Insel verlassen und erstmals auch den Westen unsicher machen darf, sollte also eigentlich ein Grund zur Freude sein – aufgrund mangelnder Remaster-Bemühungen entpuppt sich das Ganze jedoch leider als niederschmetternde Enttäuschung.


Abseits marginaler visueller Anpassungen scheint Ebizos Diebesodyssee nämlich weiterhin an die weit entfernte PS2-Vergangenheit gekettet zu sein und versprüht aufgrund veralteter Mechaniken, mangelhaften Tutorials und zahlreichen Frustmomenten kaum einen Hauch von Gaming-Moderne. Und wenn dann doch einmal ein Fünkchen Spielspaß entflammt, ein gelungener Raubzug meine Motivationskurve unvermittelt in die Höhe schnellen lässt, wird mir irgendein erschreckend angestaubtes Gameplay- oder Techik-Relikt in den Weg geworfen, das meinen freudigen Run unliebsam ausbremst.


Langjährige Tenchu- und Way of the Samurai-Fans mit einem stabilen Nervenkostüm werden über diese Mängelliste sicherlich hinwegsehen können, dürfen (beflügelt durch den definitiv vorhandenen Nostalgie-Bonus) die Gesamtwertung gar großzügig nach oben korrigieren. Alle anderen sollten um diese mittelschwere Katastrophe lieber einen großen Bogen machen und hoffen, dass Acquire eines Tages ein vollwertiges Kamiwaza: Way of the Thief-Remake angekündigt. Oder vielleicht direkt eine Fortsetzung, die das chancenreiche Konzept in die Videospiel-Neuzeit geleitet.

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  • Danke, das hat wirklich Spaß gemacht zu lesen! :D