Forspoken

Ambitionierte Enttäuschung mit fantasievollen Hoffnungsschimmern.


Sich ins gemachte Nest setzen, ohne nennenswerte Hürden ans kreative Werk gehen und sich anschließend auf seinen Lorbeeren ausruhen, ist zumeist der angenehm simple Pfad, den Entwicklerstudios gerne wählen. Wozu sollte auch nach den Sternen gegriffen werden, wenn die Arbeit an einem namhaften Franchise bereits einen ungemein großen Teil des zu erwartenden Erfolgs ausmacht? Manchmal gibt es dann aber eben doch die Teams, die ihren Blick gen Horizont wenden und sich einer völlig neuen Herausforderung stellen wollen, die mit ebenso vielen Risiken wie auch Chancen verknüpft sind.


Ein treffendes Beispiel ist die Videospielschmiede Luminous Productions, die sich unter dem zuvor eher sperrigen Namen Square Enix Business Division 2 für die Entwicklung von Final Fantasy XV verantwortlich zeigte, die bekannte IP allerdings lieber als Sprungbrett in eine ambitionierte Zukunft umfunktionierte. Mit der hauseigenen Luminous Engine (daher auch der neue Studioname) sollten brandneue Abenteuer geschaffen werden, die Gamer weltweit in ihren Bann ziehen und dabei nicht nur die spielerische, sondern auch die visuelle Messlatte höherhängen würden. Und den Anfang sollte ein magisches Action-RPG machen, das im Juni 2020 zunächst nur unter dem Arbeitstitel Project Athia angekündigt wurde.


Gut zweieinhalb Jahre später endete der ehrgeizige Entwicklungsprozess mit der Veröffentlichung von Forspoken, das die vom Leben gebeutelte New Yorkerin Frey in eine von finsteren Mächten unterjochte Fantasiewelt transportiert. Und trotz einer Vielzahl fantastischer Gameplay-Elemente und sichtbaren Bemühungen seitens Luminous Productions unschön beweist, dass ein ambitioniertes Vorgehen allein leider nicht immer automatisch zu einem kleinen Meisterwerk führt.


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Ciao New York. Hallo Athia!


Kennt ihr diese Momente, in denen ihr einfach nur verschwinden wollt? Die Momente, in denen wir uns bedingt durch Schul-, Familien oder Beziehungsstress voller Kummer ins Bett geworfen, die Augen fest zugedrückt und gehofft haben, dass wir dadurch in eine völlig neue Welt transportiert werden, in die uns all diese niederschmetternden Probleme nicht folgen konnten. Ein Wunschdenken, das leider niemals Realität wurde.


Irdische Restriktionen, an die sich Videospiele natürlich nicht halten müssen. Wenig verwunderlich also, dass die junge New Yorkerin Alfre „Frey“ Holland eine Chance auf einen Neubeginn erhält und ihrem von Einsamkeit, Verbrechen und konstanter Überlebensangst beherrschten Leben entfliehen darf. An ihrem 21. Geburtstag entdeckt sie nämlich einen prachtvollen Armreif, der sie kurzerhand in die magische Welt Athia teleportiert, in der atemberaubende Landschaften und imponierende Zauber für einen kulturellen Jetlag der ganz besonderen Sorte sorgen. Friede, Freude, Eierkuchen ist hier leider nicht angesagt – denn obwohl Frey den eigenen Problemen entkommen konnte, stolpert sie unbewusst in einen gewichtigen Konflikt, bei dem alltägliche Probleme urplötzlich klein und mickrig erscheinen, sogar regelrecht verblassen.


Kein Geringerer als der zuvor als simples Schmuckstück abgestempelte Armreif, der nach dem ersten Betreten Athias sprechen kann und von Frey fortan nur noch Reif genannt wird, klärt die unfreiwillige Touristin über die aktuelle Situation auf. Das zuvor wunderschöne und von vier gütigen Magie-Matriarchinnen namens Tantas beherrschte Land stürzte mit dem plötzlichen Auftauchen des Bruchs – einem ebenso unheimlichen wie auch unheilvollen Phänomen – ins absolute Chaos. Immerhin wurde alle Menschen und Tiere, die mit dieser finsteren Urgewalt in Kontakt kamen, schlagartig in monströse Bestien verwandelt, wodurch die Überlebenden hinter die schützenden Mauern der Stadt Cipal gezwungen wurden. Und da auch die einst wohlwollenden Tantas der Wirkungskraft des Bruchs nachgeben und ihr Dasein nun als bösartige Hexen fristen müssen, könnte auch diese letzte Bastion der Menschheit jeden Tag kippen.


In Freys überraschender Ankunft liegt jedoch eine Chance, eine riesige Hoffnung, Athia von der Geisel der katastrophalen Bedrohung zu befreien und die vergangene Schönheit des Landes wiederherzustellen. Neben einer magischen Begabung scheint sie gegen den giftigen Effekt des Bruchs nämlich gänzlich immun zu sein und besitzt damit die Möglichkeit, vollständig verseuchte Gebiete auf der Suche nach eventuellen Lösungen zu erkunden und der herbeigesehnten Freiheit somit nach und nach einen Schritt näherzukommen.


Leichter gesagt als getan, muss sich Frey mit ihrem Schicksal und neuen Kräften doch erstmal auseinandersehen, während sie gleichzeitig von Bestien aller Art, skeptischen Cipal-Bewohnern und sogar den Tantas höchstpersönlich ins Visier genommen wird. Gemeinsam mit Reif ist die New Yorkerin aber bereit, dieser Herausforderung selbstbewusst entgegenzulachen – und dabei nicht nur Athia zu retten, sondern vielleicht auch ihr eigenes Leben wieder in eine mental zufriedenstellende Richtung zu lenken.



Übereilter Handlungsfehlstart


Nein, Forspoken wartet definitiv nicht mit einer revolutionären Rahmenhandlung auf, worin auch meine frühe Skepsis begründet lag. Würde diese relativ dünne Geschichte der am emotionalen Tiefpunkt angelangten Protagonistin, die durch die heroische Rettung einer fremden Welt ihre wahre Bestimmung findet und den eigenen Dämonen den Kampf ansagt ausreichend begeistern können, um mich dauerhaft an den Controller zu fesseln? Eine Unsicherheit, die durch einen enorm holprig erzählten Prolog zunehmend verstärkt wurde.


Hier möchte mir Luminous Productions Frey nämlich am liebsten im Schnelldurchlauf ans Herz tackern und feuert dafür mit einem vollgeladenen Emotionsmaschinengewehr wild in alle Richtungen. Im Gerichtssaal erfahre ich von ihrer durch stete Armut bedingten düsteren Zukunftsaussichten und kriminellen Fehltritten, werde in der nächsten Szene Zeuge eines unliebsames Stelldichein mit einer brutalen Gang, sehe ihre hart erkämpften Chancen auf ein besseres Leben in Flammen aufgehen und bekomme zu guter Letzt noch ihr tragisches Schicksal als ausgesetztes Baby präsentiert, das nicht nur in einem Tunnel ausgesetzt wurde, sondern sich anschließend noch von einer Pflegefamilie zur nächsten hangeln musste.


Zugegeben: Geschickt verknüpft können diese einzelnen Lebensbausteine einen ebenso glaubwürdigen wie auch sympathischen Charakter erschaffen, dem ich liebend gerne durch ein spielerisches Aufarbeiten der erschütternden Vergangenheit folge. Im Falle von Forspoken wird dem notwendigen Aufbau allerdings nicht ausreichend Zeit eingeräumt, weshalb die gewünschte Verknüpfung nur halbherzig erfolgt, kaum gefestigt wird und in mir anstatt der erhofften Anbindung eher Verwirrung auslöst. Zeitweise fragte ich mich sogar, ob ich einige Zwischensequenzen aus Versehen übersprungen und den gehetzten Start dadurch eventuell selbst zu verantworten hatte.


Leider beschränkt sich die ungeschickte Handlungsstruktur nicht nur auf den Prolog, sondern erstreckt sich (in marginal entschärfter Form) durch das gesamte Abenteuer. Mit jedem weiteren Kapitel beschlich mich das Gefühl, dass das vierköpfige Autorenteam – darunter auch Amy Hennig, die sich mit ihrer Arbeit an der Uncharted- und Legacy of Kain-Reihe in der Gaming-Welt einen Namen machen konnte – die wichtigsten Stationen von Freys Reise ans Storyboard geworfen, dabei jedoch nicht unverzichtbaren Verbindungsrouten vergessen zu haben. Kaum wurde das Versäumnis bemerkt, warf die Gruppe kurzerhand einige Konversationen oder uninspirierte Monologe ins Rennen, die das erzählerische Gebilde als notbedürftiges Gaffer Tape zusammenhalten sollten – und bei dieser Aufgabe bravourös scheiterten.



Dürftige Charakterzeichnung inklusive mangelnder Chemie


Erschreckend, aber wahr: Meinen größten Kritikpunkt bezüglich der narrativen Ebene konnte ich trotz meiner negativ geladenen Textwelle noch gar nicht anbringen. Während die bisher erörterten Schwächen während meines Tests zweifelsfrei in der mittelschweren Kategorie landeten und dem verzauberten Handlungsgewand einige heftige Risse verpassten, warfen mich die katastrophalen Dialoge unliebsam aus dem Geschehen und verwandelten heldenhafte Coolness oder dramatische Augenblicke in ein unfreiwillig komisches Trauerspiel.


An vorderster Front steht hierbei Frey, deren Weg von der vom eigenen Schicksal gezeichneten New Yorkerin hin zur selbstbewussten Weltretterin mit so vielen unangenehmen Sprüchen gespickt wird, dass sie in meinen Augen nicht etwa zur nahbaren Protagonistin erhoben, sondern zur unsympathischen Möchtegern-Legende degradiert wurde. Kaum verwunderlich, stand doch bereits unser erstes Kennenlernen unter keinem guten Stern, weshalb auch der spätere Beginn einer zusammenschweißenden Freundschaft eine schier unlösbare Aufgabe darstellte. Lange Rede, kurzer Sinn: Abseits einiger Überraschungen und netter Momente ließ mich Freys Geschichte vollkommen kalt und versagte bei der eigentlichen Aufgabe des antreibenden Motivationsmotors auf ganzer Linie.


Meinen strafenden Zeigefinger einzig auf die junge New Yorkerin zu richten wäre allerdings unfair, da auch die weiteren Haupt- und Nebenfiguren ihre Chance zur Aufwertung der Handlung brachial verspielen. Armschmuck und geschwätziger Wegbegleiter Reif mag mit seiner locker-flachsigen Art noch die qualitative Speerspitze der Charakterzeichnung darstellen, verliert sich bis auf den finalen Akt jedoch ebenfalls in einer erschreckenden Eindimensionalität, die nur wenige nennenswerte Highlights ermöglicht. Keine Frage, als bewegungsloses Modeaccessoire wird das darstellerische Wirkungsfeld drastisch eingeschränkt, umso wichtiger wäre dann allerdings ein Dialogbuch gewesen, das mich vom Hocker haut.


Sollten Mathe-Cracks nun die Hoffnung haben, dass hier die altbekannte Minus und Minus ergibt Plus-Formel greift, befinden diese sich leider auf dem enttäuschenden Holzweg. Gelegentlich konnte mir das ungleiche Duo zwar einen Schmunzler entlocken, werfen sich ansonsten aber eher saloppe Sprüche und lautstarke Gefahrenwarnungen um die Ohren, die schnell in den vernachlässigbaren Hintergrund abdrifteten. Infolgedessen donnern sämtliche Dynamikbemühungen ungebremst gegen die Wand, wodurch Frey und Reif als zwei Puzzleteile aus unterschiedlichen Boxen präsentiert werden, die einfach nicht zusammenpassen wollen.


Bedauerlicherweise können auch die Nebencharaktere den Handlungskarren nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Gelegentlich mögen diese zwar einen vielversprechenden Story-Faden mit emotionaler Note in den Ring werfen, dieser verheddert sich jedoch rasant in den feststeckenden Rädern und wird dadurch an der Entfaltung seines vollen Potenzials gehindert. Mit den sogenannten Umwegen (hinter denen sich für moderne Videospiele unentbehrliche Nebenmissionen verbergen) möchte mir Forspoken die Schicksale dieser Randfiguren näherbringen, mich mit den tragischen Schattenseite Athias konfrontieren und damit irgendeine Reaktion innerhalb meines Herzzentrums auslösen. Ein Fehlschlag, bekomme ich hier abseits eines vergebenen Kratzens an der Oberfläche doch keinerlei Tiefgang oder ansprechende Nuancen geboten, die mich aus der abwartenden Reserve locken könnten. Stattdessen stehen hier kleine Spaziergänge, Verfolgungsjagden oder Fetch-Quests im Mittelpunkt, die mit einigen erzählerischen Fetzen beklebt werden – und damit schmerzlich sichtbar machen, auf was für wackeligen Beinen diese Welt aufgebaut wurde.



Ungenutzte Worldbuilding-Chancen


Konzentriere ich mich einzig auf die gewichtigen Handlungsstationen und lasse das fulminante Finale frei von jeglichen negativen Meinungen auf mich wirken, verdient Forspoken dann aber doch ein kleines Lob. Lieblosigkeit darf Luminous Productions nämlich keinesfalls unterstellt werden, lassen vor allem diese mit einigen narrativen Kniffen angereicherten Kernmomente doch eine gewisse Brillanz durchschimmern, die ein anerkennendes Nicken meinerseits redlich verdient haben. Schade nur, dass dadurch zugleich das enorme Ausmaß an verpufftem Potenzial erkennbar wird.


Allein das durch eine ungeschickte Inszenierung verursachte Kopfschütteln löste bei mir spätestens ab der Halbzeit meines Tests unangenehme Nackenschmerzen aus. Anflüge einer cineastischen Präsentation werden unliebsam von unerklärlichen Schwarzblenden unterbrochen, die weder dramatischen Effekt noch erzählerische Dringlichkeit besitzen, stellenweise sogar eine wenige Sekunden andauernde Szene von der übergreifenden Sequenz trennen. Den Controller zur Seite legen, mich gemütlich zurücklehnen und die Entfaltung von Freys Geschichte in Ruhe genießen? Kaum möglich, flog ich aufgrund der enorm löcherigen Handlungsstraße doch regelmäßig unliebsam aus der narrativen Bindungskurve.


Zu allem Überfluss fühlt sich Athia selbst insgesamt einfach viel zu leer an und lässt zudem eine zwingend notwendige Durchstrukturierung des ambitionierten Gesamtkonzepts vermissen. Diverse Einfälle wurden in einen gigantischen Topf geworfen, um daraus eine mit zahlreichen Geschmacksrichtungen angereicherte Fantasy-Speise zu kreieren, der schlussendlich dann aber doch eine Reihe an Gewürzen sowie der besondere, individuelle Kick fehlt. Das Endresultat: Eine kaum abgeschmeckte Brühe, die großzügig bewertet vielleicht noch das Prädikat solide verdient hat, den erhofften Sprung aus dem Genre-Allerlei jedoch nicht einmal annähernd hinbekommt.


Eigentlich sollte angenommen werden, dass ein vierköpfiges (!) Team an durchaus erfahrenen Drehbuchautoren solche Unzulänglichkeiten frühzeitig erkennen und mit dem eigenen kreativen Knowhow korrigieren kann, um die ursprünglich angedachte Kreation in vollem Glanz erstrahlen zu lassen. Bei Forspoken scheinen solche Skills jedoch entweder kaum vorhanden gewesen oder (vielleicht aufgrund zeitlicher Restriktionen) nicht eingesetzt worden zu sein – und somit bleiben unterm Strich einige nette Wendungen und vielversprechende Grundgedanken, die durch omnipräsenten Dilettantismus in den gedanklichen Hintergrund gedrängt werden.



Wie ein geölter Athia-Blitz


Ich möchte vollkommen ehrlich sein: Während des Prologs stellte Forspoken meine Geduld gehörig auf die Probe, zehrte durch einen durchweg unliebsamen Wechsel zwischen absoluter Verwirrung und ermüdender Langeweile pausenlos an meinem Nervenkostüm und ließ den anstehenden Test wie eine unlösbare Mammutaufgabe erscheinen. Erhobenen Hauptes weigerte ich mich jedoch, den (imaginären und im eigentlichen Abenteuer nicht vorhandenen) Zauberstab einfach niederzuwerfen und wurde direkt belohnt – denn kaum durfte ich mit Heldin Frey die offene Spielwelt erkunden, machten sich die ersten positiven Aspekte bemerkbar.


Dabei spart sich der eigentliche Ablauf meiner anfänglichen Erkundungen jegliche Überraschungen und greift lieber direkt zur altbekannten Open-World-Schablone. Dementsprechend darf ich auf Wunsch jederzeit eine Karte öffnen, auf der eine Vielzahl interessanter Orte vermerkt sind, deren Besuch sich höchstwahrscheinlich als lohnend herausstellen würde. Schnell markiere ich also mein Wunschziel und mache mich in Windeseile auf den Weg, wobei ich Frey für einen effektiven Transport nicht etwa in eine motorisierte Superkarre setzen muss, sondern dank ihrer magischen Kräfte Zugriff auf anschauliche Parcours-Fähigkeiten habe, mit denen störende Hindernisse elegant umtanzt werden können.


Und obwohl sich hinter den zahlreichen Icons oftmals wenig innovative Missionsziele verbergen, entstand beim Test ein angenehmer Flow, der mich regelrecht in seinen Bann zog und das Abklappern unbekannter Bereiche nicht etwa zum mühseligen Zwang, sondern zur unterhaltsamen Motivationsspritze machte. Beispielsweise erkundete ich zunächst ein mit monströsen Feinden und kostbaren Schätzen gefülltes Labyrinth, befreite ein Dorf von fiesen Belagerern, bezwang einen gigantischen Mutanten und verschaffte mir im Anschluss dank Aussichtsturm einen Überblick über zuvor verborgene Gebiete, um meine weitere Nebenbeschäftigungsroute in aller Ruhe planen zu können.


Das Team von Luminous Productions hat zudem darauf geachtet, dass meine lockeren Streifzüge durch Athia nicht zum sinnbefreiten Zeitvertreib degradiert worden, sondern auch redlich entlohnt werden. Setze ich hinter den Aktivitäten erfolgreich ein Häkchen, freue ich mich im Gegenzug nicht nur über Erfahrungspunkte, sondern auch über neue Umhänge, Ketten oder Nagellacke, mit denen ich Freys zauberhafte Begabung gezielt aufmotzen und kommenden Herausforderungen in Form ausufernder Gegnerhorden deutlich beruhigter entgegentreten kann.


Forspoken belässt es allerdings nicht bei diesen unverzichtbaren Upgrade-Möglichkeiten, sondern stellt gelegentlich auch in Truhen oder verstaubten Bücherregalen verstaute Dokumente in den Fokus, die mich zum erneuten Aufgreifen eines bereits ausführlich erläuterten Kritikpunkts zwingen. Hierbei handelt es sich nämlich um eine Sammlung wissenswerter Informationen über die Menschen, die Kultur und die Geschichte Athias, mit denen die Spielwelt nochmals mit Leben gefüllt werden und dadurch faszinierender ausfallen soll. Prinzipiell ein guter Grundgedanke, der die von mir zuvor monierte Schwäche jedoch erneut zur Schau stellt.


Werde ich nach dem Einsammeln der informativen Texte vollautomatisch in die voluminöse Datenbank weitergeleitet, hält sich mein Lesedrang in Grenzen. Natürlich haben bereits zahlreiche Genre-Kollegen ein ähnliches Handlungskonstrukt präsentiert, die Unterfütterung der Lore also gänzlich auf optionale Zettelchen ausgelagert, hier fiel die Balance zwischen spannend inszenierter Haupthandlung und ausschmückendem Bonus-Lesestoff bedeutend angenehmer aus. Im Falle von Forspoken verlor ich nämlich im direkten Vergleich bedeutend schneller jeglichen Ansporn, mich durch die virtuelle Bibliothek zu lesen.



Open-World-Quantität > Open-World-Qualität


Schlagartig wurde mir mit erneutem Blick auf diesen designtechnischen Makel bewusst, dass es sich hierbei um eine generelle Problematik handelte, die sich durch die unterschiedlichen Aspekte von Forspoken durchzog. Luminous Productions schien lange Zeit an diesem fein abgestimmten Action-RPG-Gericht gesessen zu haben, das daraus resultierende Endprodukt jedoch als geschmacklich zu fad und mengentechnisch kaum sättigend angesehen zu haben. Und dementsprechend wurden im Nachhinein noch allerlei Zusätze reingedrückt, um der Videospielspeise vielleicht nicht qualitativ, dafür aber quantitativ auf eine neue Erfolgsebene zu verhelfen.


Nun fehlen mir wenig überraschend klare Beweise für solch eine Behauptung, weshalb ich an dieser Stelle explizit unterstreichen möchte, dass es sich hierbei nur um eine Vermutung handelt, die aus meinem persönlichen Empfinden entspringt. Doch urplötzlich bemerkte ich beim Open-World-Sprint Dinge, die dieser Theorie ernstzunehmenden Nährboden gaben und meiner bisherigen Spielspaßkurve keinen vollständigen, aber zumindest einen leichten Absturz verpassten.


Beispielsweise waren einige Aufgabenstellungen an Simplizität kaum zu übertreffen, warfen sie doch alle narrativen Ambitionen einer Sidequest direkt über Bord, um sich wirklich nur um auf das Bezwingen garstiger Widersacher zu konzentrieren. Auch die Labyrinthe wurden ihrem Namen kaum gerecht, hielten sich alternative Routen doch eher in Grenzen, wodurch Linearität schnell die Oberhand übernahm. Zusätzlich schienen einige Missionen und Dungeons via Copy + Paste generiert und somit jeglicher individueller Faszinationskraft beraubt worden zu sein. Im späteren Spielverlauf konnte ich neue Gebiete dementsprechend nicht in vollen Zügen genießen, sondern wundere mich vielmehr über eine verwirrende Vielzahl eindringlicher Déjà-vus, derer ich mich kaum erwehren konnte.


Es ist kein Geheimnis, dass künstlich aufgeblasene Welten weiterhin ein Trend sind, der von Gamern auf Social Media gerne gnadenlos kritisiert, von Entwicklern auf der erbitterten Jagd nach einer möglichst hohen Spielzeit aber weiterhin gerne angewendet wird. Normalerweise wird beim Befüllen der Landkarte aber darauf geachtet, dass ein Recycling nur geringfügig auffällt, höchstens beim Blick mit der Lupe ins Auge sticht. Leider verpasst Forspoken diesen Arbeitsschritt und schlittert dadurch rasant in eine visuelle und spielerische Monotonie, die mich zwar nicht gänzlich vom Controller abhalten konnte, nach einigen Stunden in Athia dann aber doch einen bitteren Beigeschmack bekam.


Da hilft das Fehlen optischer oder gar inhaltlicher Ablenkungsmöglichkeiten freilich überhaupt nicht. Ja, als windige Parcours-Meisterin aus New York durch fremde Fantasiereiche zu eilen und Schätze zu bergen macht Laune, wenn ich dabei allerdings durch fast schon unheimlich triste Landschaften ohne besondere Merkmale oder kommunikative Bevölkerung düse, kann die straffe Spannung des Unterhaltungsbogens kaum gehalten werden. Klar, die gähnende Leere mag durch die Rahmenhandlung nachvollziehbar begründet sein, der Mangel an Schauwerten sorgt aber dennoch dafür, dass sich kein wirkliches, vielleicht höchstes ein ganz schwaches, Mittendrin-Gefühl aufbauen will.



Parcours + Magie = Herrlicher Spielspaß


Mittlerweile könnte fast angenommen werden, dass Luminous Productions mit jedem erfolgreichen Handgriff zugleich einen schwerwiegenden Fehler begangen hat, Licht- und Schattenseiten bei fast allen wichtigen Aspekten von Forspoken zwingen miteinander kollidieren lassen möchte. Da Ausnahmen jedoch bekanntlich die Regel bestätigen, möchte ich mich nun endlich dem Herzstück, der größten Stärke, vielleicht sogar dem wertungstechnischen Lebensretter von Freys magischem Abenteuer zuwenden: dem Kampfsystem.


Trachten mir die unliebsamen Kreaturen Athias nach meinem irdischen Dasein, darf ich auf eine breite Auswahl verschiedenster Angriffs- und Unterstützungszauber zurückgreifen, die ich via Schultertasten jederzeit austauschen und einsetzen darf. Meine anfängliche Lieblingsstrategie: Alle Feinde per L2-Taste kurzerhand am Boden fest zuschweißen, um anschließend gnadenlos auf die R2-Taste einzuhämmern und ihnen mit einem wuchtigen Sprengschuss-Regen die Hölle heißzumachen. Eine Wohltat, die mich kurzzeitig von etwaigen Schwächen ablenken und erfolgreich in die Unterhaltungsschiene zurückschubsen konnte.


Logischerweise war solch ein Vorgehen während der ersten kämpferischen Auseinandersetzungen noch von Erfolg gekrönt, endete bereits nach kurzer Zeit dann aber doch in einer spielerischen Sackgasse, die unverhofft in meinen unfreiwilligen Bildschirmtod mündete. Zum Glück eröffnet mir das umfangreiche Repertoire an übernatürlichen Kräften etliche Kombinationsmöglichkeiten, mit denen ich meine strategische Ausrichtung permanent fein nachjustieren oder auch vollständig auf den Kopf stellen kann. Ich darf Minen legen, einen schmerzhaften Schutzkreis heraufbeschwören, gegnerische Gesundheit absorbieren, temporäre Statusverbesserungen aktivieren oder vom Fern- in den Nahkampf wechseln – und das alles binnen weniger Sekunden!


Bei all der Auswahl darf der Kopf allerdings nicht verloren werden, ist Frey doch nicht mit der magischen Gabe der Unverwundbarkeit gesegnet. Zwar mag Reif einige Gegenangriffe abwehren und unsere Gesundheitsleiste dadurch schützen können, erreichen seine Kräfte jedoch den temporären Nullpunkt, ist diese für Monster jeglicher Art ein gefundenes Fressen. Hier spielen die Parcours-Fertigkeiten abermals eine entscheidende Rolle, lassen diese sich doch auch zu fantastischen Ausweichmanövern umfunktionieren, mit denen hereinstürmende Konter spielend leicht ausgetanzt werden können (sobald euch der korrekte Einsatz bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist).


Aus all diesen Elementen ergibt sich ein herrlicher Flow, der durch die rasanten Sprünge von Angriff zur Verteidigung und wieder zurück oftmals an einen anmutig durchchoreographierten Tanz erinnert. Und da dieser auf ständige Wiederholungen verzichtet, mich im Gegenteil sogar verstärkt zum Erschaffen neuer kreativer Schritte einlädt, wird ein willkommener Abwechslungsreichtum generiert, den Forspoken auch dringend nötig hatte. Driftete ich beim Durchforsten des x-ten Labyrinths nämlich langsam in Richtung langweilender Monotonie ab, verpassten mir die packenden Gefechte eine beherzte Backpfeife und warfen mich damit zurück in den mitreißenden Spielspaßfluss.


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Zauberhafter Upgrade-Wahn


Als Action-RPG dürfen zahlreiche Upgrade-Möglichkeiten bei Forspoken natürlich ebenfalls nicht fehlen – und hier eröffnet mir Luminous Productions einen wundervoll-vielschichtigen Spielplatz, auf dem ich mich als kleiner Tüftler ordentlich austoben und Frey für alle kommenden Herausforderungen gehörig aufpeppen darf.


Im ersten Aufwertungsschritt widme ich mich dem Outfit meiner toughen Heldin, wobei mein Blick hauptsächlich auf den umgeworfenen Umhang und die umgelegte Kette fällt. Diese darf ich nach Belieben austauschen, wobei meine Auswahl durch das ausgiebige Erkunden Athias, das erfolgreiche Absolvieren der vielen Nebenaufgaben sowie das Investieren gesammelter Materialien und Münzen beim örtlichen Schmied erweitert wird. Entscheidungsmuffel kommen da gerne in die Bredouille, vor allem da diese Kleidungsstücke dann auch noch mit einzigartigen Fähigkeiten bestückt sind, die unterschiedliche Attributsoptimierungen – darunter beispielsweise erhöhte Angriffs- oder Verteidigungswerte sowie eine schnellere Regeneration meiner magischen Ausdauer – freisetzen. Zusätzlich darf ich meine Outfitschätze (sofern diese freie Ausrüstungsslots vorweisen können) an einer Werkbank dann auch noch mit weiteren Kräften versehen.


Damit wurde euer Upgrade-Durst nicht gestillt? Kein Problem! Denn obwohl Frey mehrfach unterstreicht, dass sie kein Fashion Victim ist und künstliches Aufpimpen ihres äußeren Erscheinungsbilds regelrecht verabscheut, macht sie beim farbenfrohen Nagellack eine kleine Ausnahme. Primär dient dieser nämlich nicht dem Unterstreichen eines feschen Looks, sondern aktiviert weitere Stärke-Boni. Nehmt ihr euch bei der Zusammenstellung des Equipments also ausreichend Zeit und tüftelt die ultimative Kombination aus, verpasst ihr der Retterin Athias nicht nur ein anmutiges Auftreten, sondern auch eine phänomenale Hilfestellung.


Immer noch nicht genug? Dann schaltet Forspoken mit dem zweiten Aufwertungsschritt einen Gang höher und widmet sich den Zaubersprüchen, die natürlich ebenfalls aufgemotzt werden wollen. Um diese überhaupt einsetzen zu können, müsst ihr sie zunächst mit Mana freischalten, das ihr in der Spielwelt aufsammeln oder durch das Abarbeiten von Nebenaktivitäten in eure Taschen spülen könnt. Ein ebenso simpler wie auch altbekannter Ablauf, der nun wirklich keinen designtechnischen Neuanstrich benötigt.


Im Gameplay-Bereich gibt sich Luminous Productions mit anspruchslosen Dingen aber scheinbar ungerne zufrieden, weshalb auch eure Magie einen weiteren Entwicklungsschritt spendiert bekommt. An zauberhaften (natürlich, in dieser Welt ist einfach ALLES zauberhaft!) Bücherregalen dürft ihr insgesamt drei Sprüche aus eurem Sammelsurium auswählen und sie damit zum Teil eurer Upgrade-Liste machen. Nun gilt es in Kämpfen ausgewiesene Herausforderungen zu bewältigen und eure Fertigkeiten unter Beweis zu stellen, um eure selektierten Kräfte zu steigern.


Eine erstklassig in das Gesamtgeschehen integrierte Idee, werde ihr dadurch doch freundlich animiert, mein gesamtes Zauberrepertoire auszuprobieren und meinen eigenen Stil um einige taktische Einfälle zu erweitern. Zudem fallen diese optionalen Aufgaben angenehm fordernd, jedoch zu keinem Zeitpunkt unfair aus, treiben den während der amüsanten Gefechte bereits ausreichend vorhandenen Spielspaß also zusätzlich an. Und da die Liste an verfügbaren Sprüchen überraschend lang ausfällt, solltet ihr bis zum Erreichen unschlagbarer Perfektion einige Stunden einplanen.



Das Kampfsystem, der ultimative Unterhaltungsretter


Während meines gesamten Tests watete ich gefühlt durch ein gigantisches Meer der Mittelmäßigkeit, wurde jedoch bei jedem noch so kurzen Duell in ungeahnte Unterhaltungshöhen katapultiert und erhielt dadurch den nötigen Antrieb, um Frey bis zum Abspann motiviert zu begleiten.


Forspoken gelingt dabei nicht nur ein phänomenaler Spagat zwischen anschaulicher Komplexität und willkommener Zugänglichkeit, zeitgleich entwickelt sich das Kampfsystem weiter und bietet potenzieller Redundanz durch diese nach und nach erfolgende Öffnung keinerlei Raum zur Entfaltung. Im späteren Spielverlauf erlernt Frey nämlich eine Vielzahl neuer Sprüche (darauf möchte ich aus Spoilergründen nicht weiter eingehen), die nicht etwa umständlich in irgendwelchen verschachtelten Menüs, sondern direkt auf dem Schlachtfeld via Schnellauswahl ausgewechselt werden dürfen. Der zuvor gelobte Flow wird also keineswegs ausgebremst, sondern sogar noch weiter angetrieben.


Obendrein besitzt jeder einzelne Zauberspruch eine Daseinsberechtigung und wird – nachdem ihr ihn korrekt in eure übergeordnete Strategie eingebaut habt – zu einem mächtigen Bestandteil eures Arsenals. Athias angriffslustige Kreaturen haben nämlich logischerweise unterschiedliche Resistenzen und Schwächen, auf die ihr individuell eingehen und eure taktische Grundausrichtung zumindest temporär umstellen müsst. Beharrt ihr vehement auf eurem favorisierten Stil, segnet ihr auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad rasant das Zeitliche, während ihr auf der Anfängerstufe zwar lebend davonkommt, das kämpferische Stelldichein jedoch in nervenzehrende Längen ausdehnt.


Luminous Productions hat mit diesem Kampfsystem eine wirklich wundervoll durchdachte und bis auf den Kern perfektionierte Gameplay-Mechanik erschaffen, die zugleich als hervorragendes Fundament für zukünftige Werke dienen dürfte. Ob es sich dabei nun um ein Sequel oder eine völlig neue IP handeln wird? Das wird wohl erst die Zeit zeigen. So oder so bleibt zu hoffen, dass die fantastische Kombination aus rasantem Parcours, umfangreichem Arsenal und geschmeidiger Anpassbarkeit innerhalb der Kreativschmiede erhalten bleibt und in Zukunft vielleicht sogar noch weiterentwickelt wird.



Zweischneidige Technik-Klinge


Dass mich die brachialen Kämpfe vollends überzeugt haben, dürfte nach drei aufeinanderfolgenden Test-Abschnitten voller Lobeshymen kein Geheimnis sein. Allerdings ist dieser Umstand neben der spielerischen Tiefe auch der visuellen Präsentation zu verdanken, bei der sich Luminous Productions die Hardware-Power der Playstation 5 zunutze gemacht hat.


Packe ich meine Zaubersprüche aus, entzündet Forspoken ein bildschirmfüllendes Effekte-Feuerwerk, das dank eines exquisiten Zusammenspiels wuchtiger Explosionen, funkelnder Partikel und elementarer Naturmagie vor allem während der ersten Spielstunden eine kleine Augenschmaus-Lawine lostreten kann. Garniert wird das ansprechende Gesamtbild durch eine tolle Weitsicht, geschmeidiger Animationen und kreativer Monsterdesigns, während sich PS5-Besitzer über kaum existente Ladezeiten sowie einen überschaubaren, dennoch aber deutlich spürbaren und durchaus passenden Einsatz der DualSense-Vibrationen freuen dürfen.


Doch auch hier stolpere ich leider wieder über negative Wurzeln, wodurch dem positiven Ersteindruck einige unschöne Kratzer verpasst wird. Denn in allein drei zur Verfügung stehenden Grafik-Modi (Qualität, Performance und Ray Tracing) schleichen sich durchweg Probleme mit der Bildschirmauflösung und Framerate ein. Die Folge: Unschärfe und deutliche Ruckler, die nach den ersten Patch-Runden zwar entschärft, einige Wochen nach Release jedoch immer noch nicht gänzlich ausgemerzt wurden und somit weiterhin als leicht enttäuschender Wermutstropfen Erwähnung finden müssen.


Ein Schema, das sich durch den restlichen Technikbereich durchzieht. Höre ich nämlich in die englische Variante hinein, begrüßen mich durchaus talentierte Sprecher, denen es jedoch an der emotionalen Hingabe und passenden Chemie mangelt, um die jeweilige Rolle restlos ausfüllen zu können. Der unfreiwillige Absturz in den Fremdscham-Abgrund kann somit nur selten verhindert werden. Nun könnte man diese Problematik blind auf das bereits bemängelte Drehbuch schieben, wird von der deutschen Sprachausgabe jedoch eines Besseren belehrt. Diese präsentiert sich nämlich deutlich lockerer, natürlicher und dadurch verständlicherweise auch glaubwürdiger, wobei Freys Sprecherin Giovanna Winterfeldt als stimmliches Highlight hervorsticht. Auch hier lassen sich akustische Fehltritte raushören, diese halten sich aber vergleichsweise in Grenzen.


Sogar hinter dem Soundtrack des Komponisten-Duos Garry Schyman und Bear McCreary verbirgt sich eine zweischneidige Klinge. Moment. Bear McCreary? Bear The Walking Dead, God of War, Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht McCreary? Eigentlich ein Hit-Garant, an dessen neuester Co-Produktion sich aber dennoch die Geister scheiden. Die Fusion moderner Beats und orchestralischer Fantasy-Klänge garantiert eine ansprechend kreative musikalische Begleitung für das Abenteuer, die stellenweise unangenehm konfus ausfällt und störende Nervsphären erreicht. Definitiv nicht austauschbar, aber auch nicht wirklich jedermanns Geschmack.



Stille Resthoffnung für ein neues Studio


Es war ungemein schwer, diesen Tests mit völliger Neutralität zu beginnen. Denn bereits vor der offiziellen Veröffentlichung und dem Erhalt des Review-Keys wurde Forspoken spätestens ab dem Demo-Release Mitte Dezember Opfer einer von Gaming-Journalisten sowie weltweiten Videospielfreunden ausgehenden Hate-Welle, die zahlreiche Aspekte frühzeitig kritisierten und damit unweigerlich das Gefühl erzeugten, dass hier eventuell die erste große Enttäuschung des Jahres vorprogrammiert war.


Während ich solche Forenbeiträge und Online-Artikel erfolgreich ignorieren und relativ unberührt an das Fantasy-Abenteuer aus dem Hause Luminous Productions und Square Enix herantreten konnte, endete mein ausgiebiger Athia-Ausflug in einem ähnlichen Fazit. Doch obwohl ich ein Gefühl der Enttäuschung einfach nicht abschütteln konnte, mich oftmals über einige Zwischensequenzen, pseudocoole Sprüche oder lieblos in die Spielwelt hineingeworfene Recycling-Aufgaben zudem lautstark aufregen musste, möchte ich nicht einfach blind dieser kollektiven Negativität verfallen, sondern explizit unterstreichen, dass sich der bereits angesprochene Zusammenprall aus Licht- und Schattenseiten auch in der Endwertung widerspiegelt.


Forspoken im Kontext eines heutzutage nun leider enorm teuren Vollpreistitels zu empfehlen, mag angesichts einer stark schwankenden Qualitätskurve sicherlich schwerfallen. Streiche ich die schwächelnden Variablen jedoch kurzzeitig aus der Bewertungsformel und konzentriere ich mich nur auf die positiven Bestandteile, erkenne ich ein grundsolides, dank seines Parcours- und Kampfsystems sogar überaus unterhaltsames Action-RPG, das Genre-Fans spätestens nach der ersten Preissenkungen ins Auge fassen sollten. Vielleicht wurden einige der in meiner Besprechung aufgeführten Schwachstellen bis dahin via Patch-Zauberei bereits ausgemerzt.


Luminous Productions dürfte sich den eigenen Startschuss derweil gänzlich anders vorgestellt haben, bezeichnete doch sogar Square-Enix-Präsident Yosuke Matsuda das Studio als „Verschmelzung von Spitzentechnologie und Kunst“. Wenn eine solche Verschmelzung eine wertungstechnische Ernüchterung erschafft, die kaum gegen die Konkurrenz bestehen und dadurch auch in den Verkaufscharts eher verhaltene Sprünge hinlegen kann, rutschen auch die bisherigen Zukunftsaussichten in eine beunruhigende Ungewissheit, die beim Team wenig Freude auslösen dürfte.


Folgt nun ein Sequel? Ein völlig neues Abenteuer? Oder droht vielleicht die wenig ambitionierte, aber mit Blick auf vergangene Erfolge recht sinnvolle Rückkehr zum Final Fantasy-Franchise? So oder so bleibt zu hoffen, dass die Entwicklerschmiede der Industrie erhalten bleibt und die Kreativität auch in den kommenden Jahren weiterhin auf die Konsolen dieser Welt bringen kann. Denn obwohl Forspoken zweifelsfrei kein umjubelter Klassiker werden wird, wurde hierbei immerhin auf das innovationslose Zurückgreifen auf einen großen Namen verzichtet, um risikobereit eine völlig neue IP zu erschaffen. Ein löbliches Unterfangen, das trotz aller Fehler und Makel zumindest eine Chance verdient – wenn auch nicht für 80€.


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Fazit


Trotz aller Bemühungen kann Forspoken die Ketten der Mittelmäßigkeit zu keinem Zeitpunkt des knapp 25-stündigen Abenteuers (inklusive Nebenbeschäftigungen) sprengen und bleibt dementsprechend weit hinter den hohen Erwartungen zurück. Neben einer holprigen Inszenierung, der rasant langweilenden Spielwelt und lieblos recycelten Missionen sind es vor allem die Haupt- und Nebencharaktere, die das Action-RPG aufgrund mangelhafter Chemie, wenig glaubwürdigem Tiefgang und zahlreichen Fremdschamsprüchen von höheren Wertungssphären abhalten.


Dennoch darf das Erstlingswerk von Luminous Productions (Final Fantasy XV exkludierte ich aufgrund der erst später erfolgten Neugründung bewusst) keinesfalls als katastrophaler Totalausfall verdammt werden, wissen doch einige visuelle sowie narrative Highlights definitiv zu überraschen, während die rasante Parcours-Erkundung Athias der Unterhaltungskurve einen deutlichen Aufschwung verpasst. Primär wird diese jedoch durch das wahrhaft phänomenale Kampfsystem befeuert, das mir mit einer Vielzahl an Zaubersprüchen und diversen Upgrade- sowie Kombinationsmöglichkeiten einen herrlichen Taktik-Spielplatz eröffnet, der mich bis zum Abspann an den Controller fesselte.


All diese zweifelsfrei vorhandenen Stärken reichen allerdings nicht aus, um den Qualitätsstatus eines Vollpreistitels zu rechtfertigen. Schlussendlich präsentiert sich Forspoken nämlich als ein vielversprechendes, in dieser Form jedoch viel zu poröses Videospielfundament, das zur Stabilisierung des erschaffenen Gesamtkonstrukts weitere stabilisierende Handlungs-, Technik und Gameplaysäulen dringend benötigt hätte. Es bleibt zu hoffen, dass Luminous Productions eine Chance zur ausgiebigen Weiterentwicklung aller positiven Aspekte der hauseigenen Entwicklungsgrundlage bekommen. Angesichts der deutlich wahrnehmbaren Perfektionsanflüge von Freys Athia-Reise hätte sich das Studio diese nämlich redlich verdient.

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