Octopath Traveler II

Neue Welt. Neue Geschichten. Neues RPG-Highlight?


Aus dem breit gefächerten Rollenspiel-Allerlei herauszustechen, mit einem ambitionierten Projekt nicht nur ein kleines Genre-Highlight, sondern zugleich einen Überraschungserfolg zu landen, ist heutzutage wahrlich keine leichte Aufgabe. Eine Herausforderung, der sich Square Enix und Entwicklerstudio Aquire 2018 hochmotiviert stellten und für dieses Risiko wahrlich belohnt wurden – immerhin wurde das im Juli weltweit für die Switch veröffentlichte Octopath Traveler von Journalisten sowie Fans gleichermaßen umjubelt und kletterte die Verkaufscharts dadurch unerwartet rasant empor.


Kein Wunder also, dass eine Fortsetzung regelrecht vorprogrammiert war. Allerdings ergeben sich aus solch einer freudigen Meldung auch existenzielle Fragen, denen sich eine Videospielschmiede mit Blick auf einen sehnlichst erwarteten Nachfolger stellen muss. Wagt man auf der Jagd nach strahlender Innovation eine hochstrebende Neuorientierung und riskiert damit, Fans der ersten Stunde zu vergraulen? Oder verlässt man sich auf die Grundpfeiler des Erstlings, nähert sich dadurch jedoch dem klaffenden Monotonie-Abgrund?


Welcher Pfad für Octopath Traveler II gewählt wurde? Diese wohl alles entscheidende Frage möchte ich euch in meinem Test beantworten. Und habe mich dafür in ein famoses Fantasy-Abenteuer gestürzt, das mein persönliches Schlafpensum auf ein Minimum senkte und die Welt um mich herum schlagartig verpixelte.


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Langwierige Vorbereitungsphase


Normalerweise beginnt ein episches Videospielabenteuer mit einer überwältigenden Zwischensequenz oder einem mitreißenden Prolog, der mich schonungslos in die kreative Fantasiewelt hineinzieht. Anschließend folgt die Vorstellung des strahlenden Protagonisten, dessen Reise in Richtung hehres Ziel (oftmals die Weltrettung) nach und nach neue Verbündete auf den Plan ruft, woraus schlussendlich eine tapfere Heldentruppe entsteht. Wie bereits der Vorgänger pfeift Octopath Traveler II auf solch einstudierte Abläufe und präsentiert mir zu Beginn meines Tests lieber die Karte der völlig neuen Welt Solistia, deren beiden Kontinente von einem gigantischen Ozean voneinander getrennt sind.


Hier lerne ich zugleich die acht spielbaren – und ebenfalls brandneuen – Reisenden kennen und werde schlagartig zur unfreiwilligen Geisel eines heimtückischen Prinzips, das mich bereits beim Erstling in Entscheidungsbedrängnis brachte: Die Qual der Wahl! Der Entschluss über den bevorzugten Startpunkt lag nämlich vollständig bei mir, weshalb ich möglichst rasant und ohne jegliche Vorabinformationen festlegen musste, welcher Charakter und welches Anfangsgebiet mir spontan am ehesten zusagten. Nun mag das Ganze in der Theorie relativ überschaubar und dadurch simpel klingen, wurde in der Praxis dann aber doch überraschenderweise zu einem strapaziösen Unterfangen, das recht viel Nachdenkzeit verschlang. Denn wirklich alle mir zur Verfügung stehenden Optionen weckten zumindest ein gewisses Grundinteresse in mir.


Eigentlich sah ich Diebin und Mitglied der finsteren Gruppierung der Schwarznattern Throné Anguis als klare Siegerin, immerhin klang ihr Hauptmotiv, dem tödlichen Teufelskreis des ewigen Blutvergießens entkommen zu wollen, unglaublich vielversprechend. Dann stolperte ich jedoch über den Gelehrten Osvald V. Vanstein, der für den Mord an seiner Frau und Tochter zu Unrecht zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, nun allerdings unverhofft die Chance auf reinwaschende Rache erhielt. Im direkten Vergleich wirkt der Handlungspfad der jungen Tänzerin Agnea Bristerni fast wie ein fröhlicher Spaziergang, stehen hier doch ihr Weg vom unbedeutenden Wirtshaus zur großen Bühne und das schier hoffnungslose Greifen nach den glitzernden Berühmtheitssternchen im Fokus. Doch damit wurde auch eine nachvollziehbare Bodenständigkeit vermittelt, die ich definitiv ansprechend fand.


Nach einer knapp 30-minütigen Überlegungsphase (ich sagte ja, dass ich diesen Prozess sehr ernstnehme), entschied ich mich für den Händler Partitio Yellowil, da die Ödnis des Wildlandes ein reizvolles Western-Flair versprühte und beide Vorstellungsartworks des Helden mit einem unleugbaren Charme behaftet waren. Und obwohl ich das Beschreiten dieses Story-Pfads keineswegs bereute, eröffnete sich mir nach Beenden des ersten Kapitels ein weiteres, direkt aus dem Vorgänger entnommenes Element, mit dem sich Octopath Traveler II wichtige Pluspunkte verdiente und mein anfängliches Hadern fast schon hämisch ad absurdum führte.


Werde ich nach der erzählerischen und spielerischen Einführung nämlich in die überwältigende Erkundungsfreiheit entlassen, darf ich direkt die Standorte weiterer Hauptakteure ausfindig machen und diese nach dem Erleben ihrer individuellen Vorgeschichte in meine Gruppe einladen. Habe ich alle Gefährten versammelt und dadurch das altbekannte Vier-Personen-Limit gesprengt, ermöglicht mir der Besuch einer beliebigen Taverne die Anpassung meiner aktuellen Teamzusammenstellung. Wie bereits beim Vorgänger braucht ihr also keinerlei Fehlentscheidungen oder verpasste Geschichtsfetzen zu befürchten.


Einziger Knackpunkt: Euren eingangs ausgewählten Kämpfer dürft ihr erst austauschen, nachdem ihr dessen vierteilige Handlung erfolgreich absolviert habt. Sicherlich kein gravierendes Problem, stehen mir neben dieser blockierten Position doch drei weitere Kaderplätze zur Verfügung, die das wilde Durchmischen meiner Truppe jederzeit ermöglichen. Dennoch gewinnt die allererste Entscheidung mit diesem kleinen Kniff eine besondere Wichtigkeit, die zumindest eine durchdachte Abwägung erfordert – und meine zeitliche Investition dann doch nicht so sinnlos erscheinen lässt.



Bedeutende Schritte in die richtige Handlungsrichtung


Eigentlich hätten sich Square Enix und Acquire gemütlich an der Handlungsschablone bedienen können und einfach nur die Welt sowie die acht Protagonisten austauschen müssen, um die Mindestanforderungen eines Sequels adäquat zu erfüllen. Stattdessen schienen die Teams ein völlig neues Niveau anstreben und den Erstling erzählerisch übertrumpfen zu wollen, wobei das Annehmen und Verinnerlichen konstruktiver Kritik seitens der Community augenscheinlich im Mittelpunkt stand.


Während die Reisenden des Vorgängers keineswegs als langweilig verteufelt werden dürfen, präsentieren sich die Helden aus Octopath Traveler II bedeutend facettenreicher und bekommen dank einer meisterhaften Kombination aus teils düsteren Hintergrundgeschichten und schockierenden Wendungen die perfekte Chance, mich mit ihrer individuellen Persönlichkeit und elegant eingeflochtener Charakterentwicklung spielend leicht in ihren narrativen Bann zu ziehen. Gänzlich hingerissen verfolgte ich Partitios Pfad durch Solistia und übersah dabei vollkommen, wie vor meinen Augen nach und nach ein gigantisches Handlungsnetz gesponnen wurde, das acht Einzelschicksale in eine fulminante Saga umformte und mich mit der daraus resultierenden Faszination klangheimlich fesselte.


Der eindeutige Hauptkritikpunkt der Vergangenheit war allerdings der eigentliche Ablauf der unterschiedlichen Routen. Da diese nämlich gewichtige Schnittstellen und inhaltlich wertvolle Interaktionen zwischen den einzelnen Abenteurern vermissen ließen, ging der herbeigesehnte Story-Teppich urplötzlich in Flammen auf und hinterließ parallel zueinander verlaufende Story-Fäden, die das volle Entfaltungspotenzial kaum ausschöpfen konnten. Auch die Fortsetzung kann diese Problematik nicht gänzlich ausmerzen, bewegt sich mit eindeutigen Verbesserungsschritten aber zumindest in die richtige Richtung.


Dabei handelt es sich hauptsächlich um die Wegkreuzungen, bei denen sich die Geschichten zweier Helden überschneiden. Strenggenommen mag es sich hierbei zwar nur um ausgedehnte Nebenquests handeln, diese trumpfen jedoch allesamt mit erfrischend kurzweiligen Dialogen sowie einer willkommenen Team-, beziehungsweise Duo-Dynamik auf. Überhaupt war es ausgesprochen amüsant, das Aufeinandertreffen zweier charakterlich grundverschiedener Reisender, die ich erst kurz zuvor näher kennengelernt hatte, beobachten und dabei Zeuge einer stimmigen Mischung aus humorvollen, dramatischen und mitreißenden Momenten werden zu dürfen.


Schade, dass diese Passagen äußerst rar gesät sind und es durch den konstanten Fokus aus zwei ausgewählte Charaktere verpassen, ein allumfassendes Gruppengefühl mit ansprechender Tiefe zu erschaffen. Dennoch muss unterstrichen werden, dass den Entwicklern bereits mit Octopath Traveler II ein erfreulicher Optimierungssprung geglückt ist, der bei einem eventuellen Nachfolger allerdings gerne noch bedeutend weiter und inhaltlich tiefgehender ausfallen darf.



Ein HD-2D-Upgrade allererster Güte


Sobald Square Enix und Acquire jedoch die ultimative Franchise-Trumpfkarte ausspielen, werden etwaige Handlungsschwächen gekonnt aus dem Wahrnehmungsfeld entfernt. Denn auch Octopath Traveler II wird wieder durch den wundervollen HD-2D-Grafikstil zum Leben erweckt, der nicht einfach nur lieblos vom Vorgänger kopiert, sondern in vielerlei Hinsicht sinnvoll weiterentwickelt wurde.


So wurde die malerische Kombination aus nostalgischer Pixelkunst und modernen 3D-Effekten um zahlreiche Besonderheiten erweitert, wodurch sich nicht nur die zahlreichen Charaktermodelle, sondern auch die visuell abwechslungsreich gestalteten Schauplätze über einen anschaulichen Atmosphäre-Boost freuen dürfen. Dadurch entspringt aus dem zunächst minimalistisch anmutenden Gesamtbild eine atemberaubende Detailflut, die mich mit einem Augenschmaus nach dem anderen überrollte und optische Langeweile somit gekonnt aus der grafischen Gleichung strich.


Klares Upgrade-Highlight sind allerdings zweifelsfrei die dynamischen Kamerafahrten, die Zwischensequenzen sowie Kämpfen, gelegentlich sogar hitzigen Konversationen einen zusätzlichen Schwung verpassen und dabei gerne den Sprung in cineastische Gefilde meistern. Und eben dieser Sprung weckte in mir das Gefühl, dass mich Octopath Traveler II die gesamte Testdauer lang durch eine gigantische Galerie voll anmutiger Gemälde führte, die mir den passionierten Schaffensprozess des Entwicklerteams näherbrachten und mich immer wieder aufs Neue ins Staunen versetzten. Kaum auszumalen, auf welche kreativen Höhen der HD-2D-Look in Zukunft noch erhoben wird.


Nun könnte befürchtet werden, dass alle anderen technischen Aspekte automatisch in den Hintergrund gedrängt werden, um dem Markenzeichen der Reihe mehr Raum zur Entfaltung zu bieten. Scheinbar waren sich auch Square Enix und Acquire dieser Gefahr bewusst und erstickten diese mit der Rückkehr des japanischen Komponisten Yasunori Nishiki frühzeitig im Keim. Wie bereits beim Erstling konkurriert dieser nämlich nicht mit der visuellen Präsentation, sondern nutzt diese vielmehr als Inspiration für seine orchestralischen Melodien. Das erfreuliche Endresultat: Ein unglaublich variantenreicher Soundtrack, der auf alle Tasten der emotionalen Klaviatur zurückgreift, dadurch wirklich jede noch so vernachlässigbare Situation vortrefflich begleitet und meine bereits durch den Grafikstil erweckte Begeisterung gelungen festigt.


Haben die englischen und japanischen Sprecher da noch eine Chance, in irgendeiner Form zu glänzen? Absolut! Denn auch beim Nachfolger beweist das Casting ein goldenes Händchen und verpasst allen Haupt- und Nebendarstellern passende Stimmen, die trotz einer eingeschränkten Darstellung aussagekräftiger Gesichtszüge durchweg die richtigen dramaturgischen Töne treffen. Und obwohl das japanische Original durch einen leichten Zusatzhauch tonaler Leichtfüßigkeit die Oberhand behält, befinden sich die Sprachausgaben fast auf Augenhöhe, stellen dementsprechend also beide eine valide Option dar.



Rundenbasiertes Taktieren


Mich einfach nur zurücklehnen und die pittoresken Panoramen Solistias war allerdings ein seelenbalsamierender Luxus, den ich mir während meines Tests nur selten leisten konnte. Gameplay-Kernstück von Octopath Traveler II sind nämlich abermals die rundenbasierten Kämpfe, in denen ich mich einer Vielzahl angriffslustiger Widersacher mithilfe strategisch durchdachter Manöver entledigen muss.


Oberflächlich betrachtet fallen die Duelle zunächst recht eindimensional aus und bieten vor allem Genre-Veteranen und Kennern des Vorgängers kaum nennenswerte Innovationen. Bin ich am Zug, werfe ich meinen Feinden Standardangriffe, Zauber oder schmerzhafte Spezialfertigkeiten um die Ohren, um deren Gesundheitsleisten möglichst rasant gen Nullpunkt zu senken. Dabei versuche ich durch das Durchmischen meiner Bewaffnung gleichzeitig, der individuellen Schwachstelle meines gegnerischen Gegenübers auf die Schliche zu kommen, um dessen Schildpunkte zu zertrümmern und dadurch einen Bruch-Zustand auszulösen, der für eine temporäre Bewegungslosigkeit sorgt.


Habe ich dieses Zwischenziel erreicht, beginnt Phase 2 meines Schlachtplans, die ich liebevoll auf den obercoolen Namen Super-Saiyajin-Boosting getauft hatte. Mit jeder Runde erhalten meine Kämpfer nämlich einen Boost-Punkt, den ich für eine einmalige Verstärkung meiner Angriffe einsetzen darf. Sicherlich kann ich diese überstürzt aus dem Fenster schmeißen, sie mit ein wenig Geduld allerdings auch anhäufen und gebündelt aktivieren, um neben ungeahnten Kräften auch noch eine hell erstrahlende Aura zu entfesseln und zum ultimativen Kombo-Angriff überzugehen. Meine Namensgebung wurde mir also regelrecht auf dem Silbertablett serviert.


Doch auch ohne erfinderische Titel-Brainstorming handelt es sich hierbei um ein empfehlenswertes Vorgehen, verschaffe ich mir damit doch nicht nur einen offensiven Vorteil, sondern schütze zugleich meine eigenen Lebenspunkte. Vor allem beim Aufeinandertreffen mit gemeingefährlichen Bossen verpuffen diese nämlich gerne urplötzlich ins Nichts, wodurch meinem Abenteuer ein jähes Ende bereitet wird. Anschließend den Schwierigkeitsgrad senken oder alternative Hilfestellungen aktivieren? Pustekuchen! Octopath Traveler II präsentiert sich bewusst als anspruchsvolle Herausforderung, die zwar niemals in unfaire Gefilde abdriftet, bei bestem Willen aber auch nicht als erholsamer Rollenspiel-Spaziergang bezeichnet werden darf.


Es ist eine weitere Rückbesinnung auf gefühlt weit zurückliegende Genre-Tugenden, die primär der älteren Gaming-Generation (ja, dazu zähle ich mich mit meinen zarten 33 Jahren ebenfalls) ein Lächeln auf die Lippen zaubern dürfte. Beiße ich mir an einem unüberwindbar erscheinenden Kontrahenten die Zähne aus, muss ich zunächst in den Grind-Modus schalten und mir durch das Bewältigen etlicher Zufallskämpfe Erfahrungspunkte aufs Konto spülen, um mit den daraus resultierenden Levelaufstiegen die gewünschten Attributsaufwertungen zu erhalten. Kombiniere ich die Früchte meiner Bemühungen dann auch noch mit einer ausgeklügelten Taktik, kommt der Erfolg in greifbare Nähe. Ein simples Prinzip, das bereits seit Urzeiten bestens funktioniert, in der modernen Videospiellandschaft jedoch mit einigen Schwächen behaftet ist.


Werden Zufallskämpfe und langwierige Grind-Zwänge heutzutage nämlich verstärkt aus der Entwicklungsgleichung gestrichen, macht Octopath Traveler II diese zum Pflichtprogramm und verpasst dem geschmeidigen Flow der spannenden Reise damit stellenweise einen spürbaren Zwischenstopp. Erfahrene Levelkünstler mögen solche EXP-Streifzüge kennen und dadurch einfacher akzeptieren können, handlungsinteressierte RPG-Neueinsteiger müssen derweil aber auf ein trainiertes Nervenkostüm achten, um nicht direkt abgeschreckt zu werden.



Zukunftsweisende Laufbahnwahl


Mit dem Verlass auf solche antiken Gameplay-Bausteine gehen Square Enix und Acquire auch bei Octopath Traveler II ein ernstzunehmendes Risiko ein, werden Gamer ohne nostalgische Bezugspunkte durch den Verzicht auf eine helfende Schwierigkeitshand doch potenziell ausgeschlossen, können sie doch kaum die Motivation aufbauen, intensiv in das Kampfsystem einzudringen. Doch eben dieses Risiko macht sich dann bezahlt: Ist man diesen Schritt nämlich gegangen und hat die überraschende Komplexität gemeistert, wird man mit einem unvergleichlichen Erfolgserlebnis belohnt, das wirklich an die guten, alten RPG-Zeiten erinnert.


Meine Gesundheit im Auge behalten und Schwachstellen ins Visier ist nämlich nur die halbe Miete. Möchte ich das Schlachtfeld als glorreicher Sieger verlassen, muss ich zudem das Skill-Set meiner aktiven Truppe im Auge behalten, dieses gezielt einsetzen und im weiteren Spielverlauf zudem sinnvoll erweitern. Zu Beginn des Abenteuers besitzt jeder Held nämlich eine festgelegte Laufbahn, die über die einsetzbaren Waffen und Fähigkeiten bestimmt. Zwar darf ich diese nicht austauschen, durch das Erlangen einer passenden Lizenz jedoch einen zusätzlichen Pfad ausrüsten, der die Einsatzmöglichkeiten meines Teams logischerweise um ein Vielfaches erweitert. Sofern ich mich für die korrekten Kombinationen entscheide.


Keine Sorge, katastrophale Verknüpfungspannen braucht ihr nicht befürchten, lassen sich mit dem richtigen Fingerspitzengefühl doch aus allen Zusammenstellungen besondere Vorteile erschaffen. Dessen ungeachtet sollten überstürzte Entscheidungen auch hier nicht zu tragen kommen, vielmehr die Zeit für einen ruhigen Blick auf alle Laufbahnoptionen eingeräumt werden, um taktische Unzulänglichkeiten auszumerzen. Mir fehlt derzeit ein Heiler? Dann komme ich an der Kleriker-Lizenz nicht vorbei. Oder vielleicht spiele ich doch lieber die Gelehrtenkarte und erweitere mein Repertoire um einige elementare Zaubersprüche?


Ob nun durch das Rekrutieren neuer Helden, dem käuflichen Erwerb neuer Ausrüstungsgegenstände oder eben die Talentförderung meiner Charaktere, Octopath Traveler II animiert mich stets zum Nachjustieren meines Setups, dem Erreichen neuer Höchstleistungen und schafft es dabei bravourös, den experimentierfreudigen RPGler in mir zu wecken. Voller Tatendrang stürzte ich mich in fordernde Duelle, probierte neue Fertigkeiten aus und erkämpfte mir knappe Siege, auf die stellenweise sogar befreiende Jubelrufe folgten. Es ist halt einfach ein wunderbares Gefühl, mit der eigenes ausgetüftelten Strategie wertvolle Erfolge einzufahren.


Dass das Kampfsystem stark an den Vorgänger erinnert, kommt nicht von ungefähr – weshalb sollte ein ebenso unterhaltsames wie auch vielschichtiges Gameplaykonstrukt erzwungenermaßen modifiziert werden? Ja, mit den Latenten Kräften darf jeder Reisende nun nach einer kurzen Aufladungsphase auf einen einzigartigen Super-Move zurückgreifen und damit gelegentlich sogar ausweglosen Situationen knapp entkommen, habe mit dieser eher marginalen Funktion dann aber auch schon das Ende der Neuerungsliste erreicht. Das mag nach einem gewichtigen Negativpunkt klingen, wird dank der grandiosen Vorarbeit des Erstlings jedoch vielmehr zum eindrucksvollen Beweis, dass die rundenbasierten Scharmützel bereits an der Perfektion kratzten und nur noch durch kleinere Upgrades verbessert werden können.



Eine unvergessliche Reise durch Solistia


Square Enix und Acquire haben wahrlich alle relevanten Kernelemente des Vorgängers genauestens unter die Lupe genommen, um diese von einschränkenden Schwächen befreien, ihnen anschließend ordentlichen Feinschliff verpassen und die nun auf Vordermann gebrachten Einzelteile zu einem meisterhaften RPG-Abenteuer kombinieren zu können. Mein persönliches Highlight habe ich dabei allerdings noch gar nicht thematisiert, wollte ich mir das Beste doch zum Schluss aufheben und mich dem fabelhaften Freiheitsgefühl in aller Ruhe widmen.


Suggeriert das erste Kapitel eines jeden Mitglieds meiner illustren Heldentruppe noch eine gewisse Gradlinigkeit, die höchstens durch versteckte Schätze oder optionale Dialoge ein wenig aufgelockert wird, glänzt bereits der nachfolgende Abschnitt mit einer beeindruckenden Entscheidungsvielfalt, die mich regelrecht erschlägt. Besuche ich weit entfernte Dörfer, um weitere Gefährten für meine beschwerliche Reise zu verpflichten? Oder vielleicht sollte ich doch eine der zahlreichen Nebenaufgaben ins Visier nehmen, um den kommenden Herausforderungen mit hochtrainiertem Level furchtlos ins Gesicht zu lachen. Vielleicht keine schlechte Idee, springen die Stufenempfehlungen auf dem Hauptpfad doch gerne schlagartig in ungeahnte Höhen.


Darüber hinaus gibt sich Octopath Traveler II redlich Mühe, meinen Forscherdrang wecken und mich dadurch zu einem noch aktiveren Bestandteil des Geschehens machen. Beispielsweise feiern die Wege-Aktionen des Vorgängers eine Rückkehr und verleihen meinen Reisenden einzigartige soziale Begabungen, dank denen ich mit den Menschen Solistias auf besondere Art und Weise interagieren darf. Apothekerin Castti entlockt mit ihrem gutmütigen Auftreten wissenswerte Informationen, Jägerin Ochette macht aus Freunden temporäre Wegbegleiter und Krieger Hikari erlernt neue Fähigkeiten, indem er übereifrig zum spontanen Duell aufruft. Neu ist zudem der blitzschnelle Tag-Nacht-Wechsel, den ich via Knopfdruck jederzeit ausführen und hiermit nicht nur Stadt sowie Dorfbewohner verwandeln darf, sondern zugleich Zugriff auf ein weiteres Wege-Aktionen-Set erhalte.


Gravierende Auswirkungen auf den eigentlichen Spielverlauf mag das Ganze nicht haben, verborgene Abschnitte oder gar alternative Enden sucht ihr also vergebens. Nichtsdestotrotz erfahre ich mit dem Zurschaustellen meiner sozialen Talente mehr über die Welt, enthülle Geheimnisse, komme kostbaren Schätzen auf die Spur oder verschaffe mir für besonders hartnäckige Widersacher unverzichtbare Unterstützung. An und für sich sprechen wir hier höchstens über eine nette Dreingabe, die über weite Strecken sogar vollkommen ignoriert werden kann. Doch es sind genau solche Momente, solche kleinen Freiheitsspitzen, die effektiv dafür sorgten, dass ich die Switch kaum aus der Hand legen wollte und mich lieber für eine weitere, ausgedehnte Test-Session entschied.


Glücklicherweise bietet mir Octopath Traveler II mit einer umfangreichen Aufgabenvielfalt ausreichend Zeit, dieses wohlige Gefühl vollends zu genießen und mich an all den spielerischen sowie visuellen Feinheiten und Verbesserungen zu erfreuen. Mich nach (ja, seien wir ehrlich, lächerlich überlangen) Gedankenspielen für einen Helden zu entscheiden, ihn besser kennenzulernen und anschließend ein ruhmreiches Abenteuer zu erleben, das mein nostalgisches Videospielherz und modernes Gaming-Gehirn gleichermaßen anspricht. Und in mir die Hoffnung weckt, dass Square Enix und Acquire mit der Fortsetzung ebenfalls einen kommerziellen Erfolg feiern dürfen und ohne lange Umschweife an einem Trilogie-Abschluss arbeiten. Nach solch einer Freisetzung zuvor ungenutzten Potenzial kann ich es nämlich kaum mehr erwarten, von Octopath Traveler III vollends vom Stuhl geworfen zu werden.


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Fazit


Square Enix und Acquire gingen mit Octopath Traveler II keinerlei nennenswerte Risiken ein, orientierten sich bei der Konzeptionierung und Entwicklung der Fortsetzung also an allen relevanten Grundpfeilern des Vorgängers und wanderten somit auf dem sicheren Sequel-Weg. Da sie sich hierbei allerdings nicht gemütlich zurücklehnten, sondern alle bisherigen Stärken gründlich aufpoliert und jegliche Schwächen ausgemerzt haben, erwartet Fans und auch neue Reisende ein rundum verbessertes Rollenspiel-Abenteuer, das bereits jetzt schon als eines der großen Genre-Highlights des Jahres bezeichnet werden darf.


Aus dem eindrucksvoll detailreichen Pixel-Look, dem erneut angenehm vielschichtigen Kampfsystem und einer zauberhaften Welt voller Haupt- und Nebenmissionen sowie versteckter Geheimnisse ergibt sich ein fantasievolles Gesamtpaket, in dessen Zentrum abermals eine sympathische, achtköpfige Heldentruppe steht, die mir mit facettenreichen Geschichten und Persönlichkeiten rasant ans Herz wuchsen. Mit den Wegkreuzungen wurde derweil auch an der zuvor kaum vorhandenen Interaktion unter den verschiedenen Protagonisten geschraubt, die aufgrund des nur stellenweise tatsächlich spürbaren Gruppengefühls aber weiterhin eine kleine, zum Glück nur geringfügige Achillesferse bleibt.


Es mag ein höllisch abgedroschener Review-Spruch sein, im Falle von Octopath Traveler II trifft dieser allerdings erstklassig zu: Wer den Vorgänger mochte, der wird den Nachfolger lieben. Immerhin wollten die beteiligten Entwicklerteams hier nicht einfach nur blind auf der Erfolgswelle surfen, sondern sich mit einem durchdachten Optimierungsprozess selbst zu übertreffen. Ein Vorhaben, das zweifelsfrei geklappt hat – und das hoffnungsvolle Warten auf einen vielleicht alsbald folgenden dritten Teil nahezu unerträglich macht.

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