Master Detective Archives: RAIN CODE

Ciao, mörderischer Bär. Hallo, gespenstische Todesgöttin!


Mit dem fulminanten Meta-Finale von Danganronpa V3: Killing Harmony machte Videospielschmiede Spike Chunsoft 2017 auf ebenso kreative wie auch schonungslose Art und Weise deutlich, dass die mörderisch abgedrehte Reihe am Schlusspunkt angekommen war. Und obwohl ich stets am Fortsetzungsglauben festhielt und kleinere Mobile- und Spin-off-Ausflüge mein Hoffnungsfeuer wieder leicht entflammten, schien die Entscheidung endgültig zu sein. Eine Tatsache, die mein Fan-Herz nur sehr schwer akzeptieren konnte.


Mit Titeln wie Zanki Zero: Last Beginning oder AI: The Somnium Files gab sich das Entwicklerteam in den Folgejahren aber immerhin redlich Mühe, meinen Schmerz mit fesselndem Storytelling und vielversprechenden Gameplay-Ideen zu lindern – und hatte dabei überraschenderweise sogar Erfolg! Doch erst die Ankündigung von Enigma Archives: Rain Code im November 2021 sorgte in mir für ein regelrechtes Hoffnungsinferno: Ein spiritueller Nachfolger der Danganronpa-Reihe, in dem ich als Juniorermittler ungelöste Fälle mit übernatürlichen Mitteln lösen darf? Und das Ganze sollte in Zusammenarbeit mit dem von ehemaligen Spike-Chunsoft-Angestellten gegründeten Studio Too Kyo Games entwickelt werden? Wie konnte ich bei solch einer verheißungsvollen Reunion nicht vollkommen ausflippen?


Zwei Jahre und eine Umbenennung in Master Detective Archives: RAIN CODE später laden mich Spike Chunsoft und Too Kyo Games gemeinsam ein, die wohl gehüteten und enorm finsteren Geheimnisse des Kanai-Bezirks zu lüften, frohen Mutes in eine ebenso absonderliche wie auch entzückende Spielwelt einzutauchen und dabei die Bekanntschaft mit einer Reihe unkonventioneller Persönlichkeiten zu machen. Doch ob das daraus resultierende Gesamtwerk tatsächlich an die früheren Erfolge anknüpfen kann oder sich unterm gespenstischen Strich als seelenlose Kopie herausstellt, beantworte ich euch im Test.


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Juniorermittler und Todesgöttin gegen einen Megakonzern


Jedes gute Mystery-Abenteuer beginnt mit einer kleinen Prise Amnesie. Im Fall von RAIN CODE ist Protagonist Yuma Kokohead (ein Name für die Gaming-Geschichtsbücher) der Leidtragende. Dieser wacht nämlich in der Abstellkammer eines Bahnhofs auf und kann sich weder an seinen Namen noch an irgendwelche anderen Momente aus seinem Leben erinnern. Einzig das Ticket für einen in Kürze abfahrenden Zug kann als potenzielles Gegenmittel für die klaffenden Gedächtnislücken identifiziert werden.


Hier wird Yuma etlicher Puzzleteile habhaft, mit denen er ein erleuchtendes Wahrheitsmotiv zusammenbauen kann. Ziel seiner Reise ist scheinbar der von immerwährenden Regen und einer Vielzahl ungelöster Fälle geplagte Kanai-Bezirk, der zudem von der dubiosen Amaterasu Corporation kontrolliert wird. Im Auftrag der Detektivkanzlei World Detective Agency werden geübte Meisterdetektive aus aller Welt in die Stadt geschickt, um offene Fragen mit Antworten zu versehen und dadurch wieder Recht und Ordnung herzustellen. Der Clou: All diese Detektive verfügen über einzigartige, übernatürliche Fähigkeiten, mit denen scheinbar jede Ermittlung rasant abgeschlossen und Verbrechen endlich zu den Akten gelegt werden können.


Yumas Rolle in dieser ambitionierten Planung? Als Juniorermittler soll er bei der Chaosentfernung tatkräftig unterstützen und dabei seine eigenen Stärken gezielt ausspielen. Und während ihm dabei ein gewisser Mangel an Selbstbewusstsein regelmäßig in den Quere kommt, bekommt er von der quietschfidelen Todesgöttin Shinigami stets einen zuverlässigen Schubs in die richtige Richtung. Diese ist aufgrund eines Pakts nämlich an Yuma gebunden und steht ihm in der Menschenwelt in Geisterform mir Rat, Tat und manchmal auch mit einigen frechen Kommentaren zur Seite. Eine Hilfe, die der anfangs noch stark verwirrte Jungdetektive definitiv benötigt.


Kaum hat dieser nämlich den Zug betreten und die in Richtung Kanai-Bezirk reisenden Insassen – allesamt geübte Meisterdetektive mit exakt demselben Auftrag wie Yuma – kennengelernt, kommt es zu einem grauenhaften Zwischenfall, der den temporär beeinträchtigten Ermittler zum rasanten Reaktiveren seiner Begabung zwingt. Und dabei ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass das mörderische Zug-Fiasko erst der Beginn eines nervenaufreibenden Abenteuers werden soll, das Yuma und Shinigami nur mit einem kühlen Köpfchen und eingespieltem Teamwork bestehen können.



Zwischen humorvoller Leichtigkeit und mörderischem Chaos


Während der ersten Minuten meines Tests befürchtete ich tatsächlich, dass Spike Chunsoft und Too Kyoo Games den düsteren Grundton der Danganronpa-Reihe über Bord werfen und sich mit RAIN CODE primär an ein jüngeres Publikum richten möchten. Zwar erwartete mich hier kein kunterbuntes Kinderfeuerwerk, allerdings stand ein fast schon niedlicher Humor im Vordergrund, der den ersten Tutorial-Ermittlungen sowie dem Kennenlernen mit meinen detektivischen Verbündeten zunächst eine lockere, unbeschwerte Atmosphäre verlieh. Eine kurze (Ingame-)Ohnmacht und mehrere entsetzliche Brandanschläge später meldete sich dann aber doch die unheimliche Stimmung zurück und ging mit dem weiterhin vorhandenen Humor eine überraschend passende Wechselwirkung ein.


In erster Linie ist das der gelungenen Integration von Sidekick Shinigami zu verdanken. Ob ich mich nun gerade mit Yumas gedanklichem Dilemma auseinandersetze oder ein schrecklich entstelltes Opfer auf Beweise untersuche, die schnippischen Bemerkungen des frechen Geists präsentieren sich meistens als aufheiternde Ablenkung, übergehen dabei jedoch nicht den Ernst der Lage, verpassen ihm vielmehr eine groteske Zusatznote. Ein durchaus spannender, mitunter auch gewagter Gemütsspagat, der jedoch durchweg funktioniert und dafür sorgt, dass das Geschehen stets emotional abwechslungsreich bleibt und erzählerische Monotonie frühzeitig ausklammert.


Als doppelte Absicherung gegen drohende Langeweile spielt das Entwickler-Duo dann aber noch eine weitere unverkennbare Stärke aus: herrlich überdrehte, aber dennoch oftmals unglaublich sympathische Charaktere! Dabei sind Yuma Kokohead und Shinigami nur die Spitze des facettenreichen Eisbergs und werden von ähnlich verrückten Haupt- und Nebenfiguren begleitet, die sich mir mit eigentümlichen Verhaltensweisen, bizarren Outfits und übernatürlichen Kräften direkt ins Gedächtnis brennen. Allein diese illustre Riege, angeführt vom fantastischen Heldenduo, trug mich durch die gesamte Handlung und sorgte mit einer ausgearbeiteten Vielschichtigkeit für die eine oder andere Überraschung.


Leider schlich sich dabei auch eine narrative Schwäche ins Gesamtbild ein, die sich vor allem im direkten Vergleich mit den Danganronpa-Titeln bemerkbar machte. Während die Schauplätze sowie die im Mittelpunkt stehenden Gruppen durchweg überschaubar blieben und dadurch ausführlicher präsentiert werden konnten, fällt RAIN CODE erheblich größer aus, wirft mir also bedeutend mehr Figuren und Orte entgegen. Einerseits ist das natürlich ein Grund zur Freude, führt im Umkehrschluss allerdings auch dazu, dass einige Personen viel zu schnell in den Hintergrund geraten, stellenweise gefühlt sogar zu einer Randnotiz verkommen.


Keine Sorge, qualitativ bleibt die freudige Erkundungstour durch den Kanai-Bezirk auf einem hohen Niveau, geht aufgrund der kleineren Mängel nur geringfügig in die Knie. Dennoch fiel mir gelegentlich auf, dass nicht alle Akteure ihr volles Potenzial entfalten können und viel zu schnell in Vergessenheit geraten, da das Rampenlicht rasant in eine andere Richtung geschwenkt werden musste. Es ist der Nachteil, wenn die Geschichte umfangreicher, kleinteiliger und komplexer ausfallen soll und dabei die örtlichen Dimensionen einer verbarrikadierten Schule nun mal sprengen muss. Immerhin ist es ein Nachteil, der sich auf lange Sicht dann doch irgendwo bezahlt macht.



Packender Fantasy-Krimi mit kleinen Leerlaufphasen


Da sich RAIN CODE nämlich nicht nur um die einzelnen Meisterdetektive, sondern auch um das finstere Treiben im Kanai-Bezirk sowie eine Reihe ungelöster Fälle dreht, werden die eben aufgeführten Schwächen zusätzlich entschärft. Bevor ich mich also über narrative Stolpersteine aufregen kann, habe ich mich längst in einem dichten Handlungsnetz verfangen, werde wie beim Lesen eines guten Krimis von all den ungelösten Mysterien regelrecht heimgesucht und versuche, der Wahrheit so schnell wie nur möglich auf den Grund zu kommen. Die Gaming-Session alsbald beenden oder gar eine mehrtätige Pause einlegen? Unmöglich!


Und obwohl nicht alle Wendungen den gewünschten Schockmoment auslösen und von Hobby-Detektiven frühzeitig entschlüsselt werden können, stellt eine Vielzahl der unvorhergesehenen Enthüllungen gerne mal das gesamte Abenteuer auf den Kopf. Besonders hervorzuheben ist dabei die Tatsache, dass einige Revelationen nicht nur die aktuellen, sondern auch bereits abgeschlossene Ermittlungen betreffen, wodurch der bisherige Status Quo in seine Grundmanifesten erschüttert wird und mich zu einem handlungstechnischen Umdenken zwingt. Vor allem das finale Kapitel spielt diese Stärke effektiv aus und präsentiert dabei eine wahre Highlight-Sinfonie, die sich fortwährend selbst übertrifft.


Wo Licht ist, ist bekanntermaßen aber auch Schatten. Yumas aufregende Erlebnisse als aufstrebender Juniorermittler bilden hierbei keine Ausnahme und schalten zur Halbzeit einen Spannungsgang zurück, verliert gleichzeitig ein wenig Tempo und dümpelt ein wenig vor sich her. Keine Seltenheit, litten doch bereits Danganronpa oder Ace Attorney unter diesem Phänomen und warfen sich im Mittelfeld plötzlich einen Filler-Umhang um, bevor auf der ausgedehnten Zielgeraden zum ultimativen Begeisterungsstich angesetzt wurde.


RAIN CODE folgt diesem Muster, wobei der temporäre Abfall dank der durchweg interessanten Charaktere und faszinierenden Welt erfolgreich abgefedert wird und nur im direkten Vergleich mit den imposanten Höhepunkten der ersten sowie letzten Stunden schwächelt. Wer also endlich wieder einen (mit übernatürlichen und überdrehten Elementen angereicherten) Krimi zum Mitfiebern sucht, das Durchlesen eines langwierigen Romans aufgrund altersschwacher Augen oder Konzentrationsstörungen beim Buchgenuss aber lieber umgeht, findet auf der Switch eine mehr als ansprechende Alternative.



Wertvolle Punkte für offene Augen


Doch nicht nur die Haupthandlung von RAIN CODE versprüht unbestreitbare Danganronpa-Vibes, auch beim Gameplay dürften Fans der (zumindest in meinen Augen) legendären Mystery-Reihe einige Ähnlichkeiten erkennen. Hier übernehme ich nämlich die Kontrolle von Yuma Kokohead und erforsche im Rahmen meiner Ermittlungen verschiedene Lokalitäten und Tatorte, an denen ich meine Taschen dank aufschlussreicher Gegenstände und redefreudiger Verdächtiger mit unverzichtbaren Beweisen füllen darf. So weit, so bekannt.


Anstatt mich jedoch aus der Ego-Perspektive in feinster Visual-Novel-Manier durch die Gegend zu klicken, darf ich Yuma bei meinen Erkundungszügen aus der Third-Person-Sicht umhersteuern und genieße dadurch bedeutend mehr Freiheit. In Kombination mit einer größeren Spielwelt in Form des visuell opulenten Kanai-Bezirks erwartete ich logischerweise einen kleinen Entdeckungsspielplatz, fiel damit allerdings einem Trugschluss zum Opfer. Zwar mag der Freiheitsaspekt in einem gewissen Umfang weiterhin erhalten bleiben, ein weitläufiges Open-World-Erlebnis dürft ihr dennoch nicht erwarten, fallen die Marschrouten insgesamt doch enorm linear aus. Kleinere Nebenausflüge sind dabei nur selten der Rede wert.


Diese Linearität zeigt sich auch beim grundlegenden Ablauf. Im Laufe der insgesamt sechs Kapitel hangele ich mich von Aufgabe zu Aufgabe, um die Handlung voranzutreiben und der Beantwortung aller offenen Fragen damit näherzukommen. So steuere ich vorgegebene Ziele an, führe ausgedehnte Konversationen, nehme markierte Anhaltspunkte ausgiebig unter die Lupe und bestreite kurzweilige Minispiele, bei denen nicht nur altbekannte Quick-Time-Events, sondern auch die besonderen Kräfte meiner Mitstreiter mitunter eine wichtige Rolle spielen. Ein recht gradliniger, aber mit ausreichend Variation befüllter Vorgang, der sich auf dem Weg in Richtung Abspann oftmals wiederholt.


Ermittlungsarbeit, die gelegentlich ein wenig zu langatmig ausfällt, abgesehen davon aber vortrefflich funktioniert und die Motivationskurve im oberen Bereich halten kann. Dieser Umstand ist aber auch einer dezenten RPG-Prise zu verdanken, die Spike Chunsoft und Too Kyo Games dem deliziösen Investigationsgericht beigefügt haben. Genre-Freunde wird dieses Element aber kaum geschockt vom Stuhl fallen lassen: Stelle ich mich bei meinen Nachforschungen gescheit an, verschiedene ich mir Detektivpunkte, die irgendwann in einen Levelanstieg münden, der mich wiederum mit Fähigkeitspunkten belohnt. Diese darf ich dann – haltet euch fest – in neue Fähigkeiten investieren, auf die ich allerdings erst später näher eingehen möchte.


Nun könnte angenommen werden, dass ich nach dem ganzen Untersuchungswahn direkt zum Täter stampfen und diesen argumentativ in Grund und Boden stampfen darf. Stattdessen dient dieser Prozess jedoch der Erschaffung mehrerer sogenannter Lösungsschlüssel, die einen existenziellen Baustein meiner klärenden Schlussfolgerung darstellen. Habe ich nämlich ausreichend Schlüssel gesammelt, öffnet sich die Pforte zu einem mysteriösen Ort, an dem ich mit allen bisherigen Erkenntnissen konfrontiert werde und diese passend zusammenfügen muss. Willkommen im Geheimen Labyrinth.



Willkommen im geheimen Minispiel-Labyrinth


Hinter dem Geheimen Labyrinth verbirgt sich die zweite Gameplaysäule von RAIN CODE, die sich als das Pendant zu den hitzigen Klassenverhandlung der Danganronpa-Titel präsentiert. Hier manifestieren sich die zahlreichen Fragezeichen des aktuellen Falls in Form heimtückischer Fallen und Hindernissen, die Yuma in Zusammenarbeit mit Shinigami, die ihre Geisterform in der rätselhaften Welt abstreifen und nun als niedliche Todesgöttin auftreten darf, umgehen und die Wahrheit um jeden Preis enthüllen muss.


Strenggenommen handelt es sich bei diesem geheimnisvollen Ort um eine Minispiel-Sammlung, bei der meine Kombinationsgabe auf die Probe gestellt wird. So muss ich durch das Beantworten offener Fragestellungen die korrekte Route durch den Irrgarten ausfindig machen, wobei ich beim Türenrätsel vollkommen gelassen an die Lösungsfindung herangehen darf, während die Entscheidung bei der rasanten Minenfahrt und der Plattformhüpferei bedeutend schneller getroffen werden muss. Verschlossene Tore wollen derweil mit dem passenden Lösungsschlüssel entsperrt werden. Und wenn Shinigami dann mal auf der Suche nach einem relevanten Wort ist, wähle ich die benötigten Buchstaben auf einem rotierenden Fass aus, um dieses zusammenzusetzen. Wahrlich ein typischer Tag im Leben eines Juniorermittlers.


Neben wachem Verstand und ausreichend Denkvermögen werden aber auch geübte Reflexe benötigt, um das Ende des Labyrinths zu erreichen. Regelmäßig stellen sich mir nämlich garstige Phantome in den Weg, die einen frühzeitigen Schlussstrich unter meine Bemühungen ziehen möchten und mir hierfür verschiedene Behauptungen entgegenwerfen, denen ich unbedingt ausweichen muss. Erkenne ich dabei eine widersprüchliche Aussage, muss ich rasant zum korrespondierenden Lösungsschlüssel greifen und diese damit zerstören, beziehungsweise widerlegen. Wechselt das Phantom in den Abwehrmodus, rufe ich Shinigami auf den Plan, die sich urplötzlich in eine schlagkräftige Riesin verwandelt und die Defensivreihen mit Tritten, Sprüngen und Schlüsseln aushebelt. Es lohnt sich eben doch, eine Todesgöttin an seiner Seite zu wissen.


Das große Finale ist dann zugleich auch die vielleicht größte spielerische Ähnlichkeit mit der extravaganten Monokuma-Sause. Denn hier müssen die fehlenden Panels mehrerer Comic-Seiten mit den richtigen Inhalten gefüllt werden, um die Abläufe des aktuellen Falls vollständig zu rekapitulieren, die ungeschönte Wahrheit ans Licht zu zerren und das Lügenkonstrukt des Täters endgültig zum Einsturz zu bringen. Klingt zunächst nach einer billige Kopie, fühlt sich in der Praxis jedoch eher nach einer eleganten Hommage an, mit der das Entwicklerteam selbst kurzzeitig in nostalgischen Erinnerungen schwelgen wollte.


Scheinbar kam bei diesem Nostalgietrip auch die Erkenntnis, dass Yuma ja nicht einfach pfeifend durch das Labyrinth marschieren, sondern sich auch mit der permanenten Gefahr des Todes konfrontiert sehen sollte. Dementsprechend muss er hier auf seine Gesundheitsleiste Acht geben, die bei Zeitüberschreitungen, falschen Antworten und verspäteten Ausweichmanövern Schaden nimmt. Erreicht die Anzeige den Nullpunkt, segnet der Juniorermittler das Zeitliche. Ein Glück gibt es die bereits erwähnten Fähigkeiten, die mir neben mehr Gesundheit auch mehr Zeit einräumen. Solltet ihr also eine kleine Hilfestellung benötigen, zahlt sich ein gut gefülltes Detektivkonto definitiv aus.



Mit Stützrädern durch den Treibsand


Spätestens an dieser Stelle leistete sich dann aber das Labyrinth selbst einen designtechnischen Fehltritt, der mindestens die Hälfte einer Gesundheitsleiste auf einen Schlag pulverisieren. Aufgrund eines recht niedrig angesetzten Schwierigkeitsgrads wage ich es nämlich zu bezweifeln, dass ansatzweise geübte Gamer diese zusätzlichen Fähigkeiten überhaupt benötigen und bin mir sogar sicher, dass alle unheilvollen Hindernisse auch ohne optionale Unterstützung relativ unbeschadet umgangen werden können.


Während meines gesamten Tests gab es höchstens zwei Momente, in denen ich kurzzeitig aus dem Konzept gebracht wurde und für einige Minuten in mich gehen und Fallnotizen nach dienlichen Hinweisen durchforsten musste. Und obwohl sich dabei immer wieder kleinere Fehler einschlichen und dadurch immerhin ein kleiner Herausforderungsfunken entstand, fielen die Bestrafungen zu gnädig aus, brachten mich folglich also kaum in die Bredouille und entrissen dem Fähigkeitensystem somit gefühlt jegliche Relevanz.


Deutlich gravierender fällt jedoch das Pacing-Problem aus, das sich bereits ab der allerersten Labyrinth-Erkundung bemerkbar macht. Gefühlt verbrachte ich hier nämlich viel zu viel Zeit, wodurch die Aneinanderreihung diverser Minispiele – die gelegentlich in mehrere Runden unterteilt sind und sich dadurch zudem rasant wiederholen – irgendwann dann doch ein wenig ermüdend wurde und in mir den Wunsch weckte, endlich in den Kanai-Bezirk zurückkehren und mich mit anderen Aufgaben beschäftigen zu dürfen. Einige Danganronpa-Fans werden nun sicherlich Einspruch einlegen und auf die ebenfalls recht langwierigen Gerichtsverhandlungen verweisen, deren Länge allerdings erst in Richtung Finale exorbitante Ausmaße annahm. Bei RAIN CODE fällt derweil bereits das Tutorial ein wenig langatmig aus.


Glücklicherweise machen Phantomkämpfe, Comic-Lückenfüller sowie Buchstaben-, Tür- und Minenrätsel ausreichend Laune und lenken gekonnt von solchen entwicklungstechnischen Missgeschicken ab, weshalb dem Gesamtspielspaß nur leichte, aber weiterhin sichtbare Schnitzer verpasst werden. Dennoch sollten Spike Chunsoft und Too Kyo Games diesen Gameplay-Part bei einem potenziellen Sequel gehörig überarbeiten und dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Ermittlungsetappen nicht einfach nur in einem gigantischen Stück ins Rennen geworfen, sondern mit Blick auf durchlüftende Abwechslung besser durchmischt werden. Eine Mischung, die sich bereits bei der Ace Attorney-Reihe als durchaus sinnvoll herausgestellt hat.



Worldbuilding par excellence


Positiver Nebeneffekt der offeneren Spielwelt von RAIN CODE ist die Möglichkeit, abseits von Tatort- und Labyrinth-Ermittlungen einfach mal die Seele (und im Fall von Shinigami den Geist) baumeln zu lassen und ein gelassen durch die Straßen des Kanai-Bezirks zu wandern. Und natürlich warten auch hier einige spannende Aufgaben, die von euch angegangen werden wollen.


Wer mehr über die verschiedenen Meisterdetektive erfahren möchte, sollte beim Besuchen der zahlreichen Schauplätze beispielsweise die Augen nach funkelnden Erinnerungssplittern offenhalten. Diese schalten nämlich durchaus fesselnde Zwischensequenzen frei, die mich mit wissenswerten Zusatzinformationen zur eigentümlichen Charakterriege versorgen und einigen vernachlässigten Figuren dann doch etwas mehr Zeit im Rampenlicht zusprechen. Die perfekte Gelegenheit, noch tiefer in diese übernatürliche Welt einzutauchen und die sonderbare Stadt besser kennenzulernen.


Wollt ihr euch im Kanai-Bezirk dann auch noch einen Namen machen – und seien wir ehrlich, wirklich jeder sollte den Namen Yuma Kokohead zumindest einmal gehört haben –, dürft ihr den Bewohnern bei ihren Problemchen unter die Arme greifen und eine Liste an Nebenmission abarbeiten. Diese verlassen zwar nur sehr selten die Dimension typischer Fetch-Quests und schicken mich oftmals von A nach B, um Person C oder Gegenstand D zu finden, erweitern dabei aber ebenfalls die erzählerische Ebene und füllen die Spielwelt dadurch nicht nur mit Leben, sondern machen sich bedeutend besser greifbar.


Dass RAIN CODE eine komplexe Missionsstruktur vermissen lässt und eine gewisse Linearität trotz des offen gestalteten Handlungsorts vorherrschend ist, wurde ich während der knapp 35-stündigen Spielzeit bestens unterhalten und ließ mich von etwaigen Schwächen kaum aus der Bahn werfen. Da die Story- und Gameplay-Teile nämlich erstklassig ineinandergreifen und verknüpft eine glanzvolle Fusion aus vorantreibendem Visual Novel und motivierendem Adventure-Titel präsentieren, verliere ich mich nämlich wie schon bei Danganronpa in einem packenden Geflecht aus vielschichtigen Pro- und Antagonisten, erschütternden Mordfällen und schockierenden Wendungen, das mit stimmiger Verrücktheit und spielerischen Elementen treffend garniert wird. Fans kommen also definitiv erneut auf ihre Kosten.



Auf diesen Komponisten ist Verlass


Es dürfte mittlerweile niemanden mehr überraschen, dass sich Spike Chunsoft und Too Kyo Games auch beim grafischen Aspekt stark an der Danganronpa-Reihe orientiert haben. Allerdings verkommt RAIN CODE dabei nicht etwa zu einer billigen Kopie, sondern bietet ausreichend Alleinstellungsmerkmale und kreative Einfälle, um sich vom spirituellen Vorgänger abzuheben. Die altbekannten Stärken bleiben aber natürlich weiterhin erhalten.


Im optischen Mittelpunkt stehen die ausgearbeiteten Charaktermodelle sowie die fantasievoll gestalteten Schauplätze mitsamt ihren zahlreichen, liebevoll eingepflegten Besonderheiten, die dank eines farbenfrohen Anime-Looks und der Unreal Engine besonders gut zur Geltung kommen und vor allem in den Zwischensequenzen eine fantastische Figur machen. Mit einfallsreichen Designideen, actionreicher Inszenierung und knalligen Effekten sorgt das Labyrinth derweil für visuelle Abwechslung und garantiert, dass ich mich am grandiosen Gesamtbild kaum sattsehen kann. Bedauerlicherweise stellt sich die Switch-Performance als das schwache Glied der ansonsten stabilen Technikkette heraus und geht unter der angestrebten Grafikpracht oftmals in die Knie. Die Folge: Matschige Texturen und schwere Framerate-Einbrüche, die sich allerdings noch auf einem akzeptablen Niveau bewegen und somit fernab von nervtötender Unspielbarkeit bleiben.


Von Hardware-Problemen lässt sich der legendäre Komponist Masafumi Takada – bekannt für seine Arbeit an der Danganronpa-Reihe, No More Heroes, killer7 und vielen weiteren, namhaften Videospielen – kaum aus der Ruhe bringen und serviert erneut einen grandiosen Soundtrack, der sich der emotionalen Wandlungsfähigkeit des Abenteuers exzellent anpasst und dabei mit einigen vortrefflichen Ohrwurm-Melodien aufwartet. Ob er damit die Brillanz seiner Vorgängerwerke erreichen, diese vielleicht sogar übertroffen konnte? Schwer zu sagen, wird doch höchstwahrscheinlich erst die Zeit zeigen, ob sich auch die neuen Klänge dauerhaft im Hirn manifestieren oder dann doch verdrängt werden. Bereits jetzt kann ich jedoch besten Gewissens festhalten, dass Takada definitiv ganz nah an seine übliche Klasse herangekommen ist.


Ähnlich eindrucksvoll präsentieren sich auch die englische sowie die japanische Sprachausgabe, die beide mit einer enorm starken Sprecherriege glänzen können. Auch hier kristallisiert sich der teils rasante Wechsel zwischen ernsten, humorvollen und gnadenlos abgedrehten Momenten als größte Stärke heraus, wird dieser doch jederzeit treffend und glaubwürdig gemeistert, wodurch sogar kleinere Nebenrollen ein breites Emotionsfeld gekonnt abdecken. Würde man mir eine Waffe auf die Brust drücken und mich zur Bestimmung eines Favoriten zwingen, fiele meine Wahl wohl auf die japanische Fassung, wird hier doch noch etwas mehr Wahnsinn aus den Stimmen gekitzelt. Solltet ihr euch jedoch für die englische Variante entscheiden, macht ihr keinen Fehler und dürft euch über eine ebenbürtige Klangqualität freuen.



Der Anfang einer wundervollen Detektivreihe?


Spike Chunsoft und Too Kyo Games machen kein Geheimnis daraus, dass es sich bei Master Detective Archives: RAIN CODE nicht um ein One-Hit-Wonder, sondern um den Startpunkt eines erzählerischen Universums handeln soll, das bereits vorhandene Erzählstränge jederzeit weiter-, alternativ aber an anderen Stellen auch völlig neue Fäden zusammenspinnen könnte. Immerhin ist Yuma Kokohead nur ein kleiner Teil einer gigantischen Detektivwelt, die einen optimalen Nährboden für einfallsreiche Handlungsteppiche darstellt.


Keine Sorge, das Entwicklerduo hat nicht etwa direkt großspurig unzählige Sequels angekündigt, verzichtet beim Erstling also auf den übertriebenen Einbau unzähliger Cliffhanger und unbeantworteter Fragen. Stattdessen stehen bereits vier Story-DLCs in der Pipeline, die den Fokus im Rahmen kleinerer Nebengeschichten auf andere Ermittler legen und damit nochmals das Potenzial unterstreichen, das dieser neuerschaffene Kosmos beherbergt. Sequels, Prequels, Spin-Offs, Crossovers – letztlich sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt.


Dass ich eindeutig vorhandenen Schwächen jedoch besser akzeptieren und im Laufe des Abenteuers immer einfacher ignorieren konnte, liegt primär an eben diesem Potenzial, das ich während des Tests in einer (eventuellen) Serie erkannt hatte. Aller Anfang ist schwer, in der Theorie vollkommen grandios klingende Einfälle erscheinen auch bei der Entwicklungspraxis erstklassig, implodieren nach der Veröffentlichung dann aber urplötzlich und stellen sich unverhofft als unvollendeter Rohrkrepierer heraus. RAIN CODE leidet mit spielerisch oftmals anspruchslosen Nebenquests, einem zu gütigen Schwierigkeitsgrad und einem unausgeglichenen Labyrinth-Pacing genau an solchen Rohrkrepierern, denen mit etwas Feinschliff und Politur jedoch rasant der ersehnte Glanz verpasst werden kann. Und genau diese Chance ergibt sich mit einer Fortsetzungen, die – Stand jetzt – noch in den Sternen steht.


Wird Master Detective Archives die Klasse der Danganronpa-Reihe eines Tages erreichen, diese dank zahlreicher Learnings, einem erweiterten Know-how und der antrainierten Identifikation eventueller Fallstricke vielleicht gar übertreffen können? Eine komplexe Frage, die ich weder beantworten kann noch es derzeit wirklich wagen möchte. Dennoch kommt es nicht von ungefähr, dass ich das erste Abenteuer an der Seite von Yuma und Shinigami als spirituellen Nachfolger bezeichne, erkannte ich während meiner spannungsreichen Ermittlungen doch wiederholt Aspekte, die ich bereits bei meinen blutigen Aufeinandertreffen mit Monokuma als Highlights definiert hatte. Inmitten des Kanai-Bezirks wurden diese in der ersten Runde zwar noch ein wenig von den nun bereits ausführlich dargelegten Problemen überschattet, bilden in Verbindung mit den ausreichend vorhandenen Stärken aber eine ausgebaute Route in Richtung einer vielversprechenden Franchise-Zukunft. Ob Spike Chunsoft und Too Kyo Games diese auch beschreiten werden? Das wird wohl die Zeit zeigen – aber meine Daumen sind gedrückt, dass wir Yuma Kokohead und Shinigami schon bald wiedersehen werden.


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Fazit


Zu Beginn meines Tests war ich skeptisch, ob ich Master Detective Archives: RAIN CODE lautstark als spirituellen Danganronpa-Nachfolger zelebrieren sollte oder damit meine Erwartungshaltung nicht frühzeitig in unerreichbare Höhe katapultieren würde. Letztlich entschied ich mich dann doch für die Vergabe der Vorschusslorbeeren – und wurde keineswegs enttäuscht! Denn mit ihrem übernatürlichen Ermittlungsabenteuer sind Spike Chunsoft und Too Kyo Games der bekannten Reihe rund um das mörderische Bärchen Monokuma vielleicht nicht in allen, aber immerhin in zahlreichen Aspekten vollends gerecht geworden.


Den atmosphärisch dichten Kanai-Bezirk an der Seite von Juniordetektiv Yuma Kokohead und Todesgöttin Shinigami frei zu erkunden, verschiedene wendungsreiche Fälle zu lösen und mich auf dem Weg in Richtung Wahrheit durch die amüsante Minispielsammlung des Geheimen Labyrinths zu kämpfen, garantierte mir die gesamte Spielzeit von knapp 35 Stunden nicht nur feinste Unterhaltung, sondern zugleich auch ein fesselndes Krimierlebnis, das mit facettenreichen Charakteren, einem anschaulichen Anime-Look und einer phänomenalen Musikuntermalung gelungen angereichert wurde. Altbekannte Stärken, die aufpoliert, erweitert und mit einem schicken neuen Setting-Gewand ausgestattet wurden.


Performance- und Pacing-Problemen sowie einer Vielzahl an recht anspruchslosen Sidequests und einem recht niedrig angesetzten Schwierigkeitsgrad ist es dann geschuldet, dass nicht das volle Begeisterungspotenzial von Master Detective Archives: RAIN CODE entfesselt werden kann und sich vor allem während der Halbzeit ein klein wenig Enttäuschung breitmacht. Dennoch darf sich der spannende Kampf zwischen Meisterdetektiven und Megakonzern als optimales Franchise-Fundament bezeichnen, das ausreichend Platz und Stabilität für DLCs, Spin-Offs und Fortsetzungen bietet. Nun bleibt nur noch zu hoffen, dass Spike Chunsoft und Too Kyo Games das Ganze ebenfalls als Serienstartpunkt sehen und die packende Welt in Zukunft weiter ausbauen – und dabei auch gleich die eindeutigen Schwächen ausmerzen.

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