Das Wort zum Sonntag - oder so... o_O"

  • Das Märchen vom Glück


  • Das Pferd und der Esel



    Larissas Traum


  • Ist das schon betrügen?



    The Soldier And Death (leider blos auf englisch x_X")



    Gedichte von Tim Burton

  • Der Bogenschütze



    Die Blume der Kaiserin


  • Diogenes und die Linsen



    Arbeitsleben



    Die beiden Wölfe




    Monster


  • Der Schwertmeister



    Die Taube



    Der Axtdieb


  • Haltet eure Mützen fest! Es ist Sonntag! 8o


    ...



    Okay, da erzähl ich euch wohl kaum was Neues, aber nunja, vielleicht erledigt ja Jeorge Bucay das für mich... o_O"


    Wer bist du? (is allerdings von der etwas längeren Sorte... x_x)


    Wie immer war Sinclair auch an diesem Tag morgens um sieben Uhr aufgestanden. Wie jeden Tag schlurfte er in seinen Pantoffeln ins Bad, duschte, rasierte und parfümierte sich. Er kleidete sich wie immer nach der neuesten Mode und ging zum Briefkasten, um nach der Post zu schauen. Dort erwartete ihn die erste Überraschung des Tages: Der Briefkasten war leer!


    Während der letzten Jahre hatte seine Korrespondenz beständig zugenommen und war zum wichtigen Faktor seiner Kommunikation mit der Außenwelt geworden. Ein wenig verstimmt über die Nachricht, keine Nachrichten bekommen zu haben, nahm er sein übliches Frühstück, Müsli und Milch (ärztlich verordnet), zu sich und verließ das Haus.


    Alles war wie immer: Die gleichen Autos fuhren auf denselben Straßen und verursachten denselben, immer gleich lästigen Großstadtlärm. Als er den Platz überquerte, stieß er fast mit Professor Exer zusammen, einem alten Bekannten, mit dem er viele Stunden über so manches müßige metaphysische Problem diskutiert hatte. Er hob die Hand zum Gruß, aber der Professor schien ihn nicht zu erkennen. Er rief ihn beim Namen, aber da war der Herr Professor bereits zu weit weg, so dass Sinclair vermutete, er habe ihn wohl nicht gehört. Der Tag hatte schlecht begonnen, und er schien sich angesichts der drohenden Langeweile in seiner Seele noch zu verschlimmern. Sinclair beschloss, nach Hause zurückzukehren, dort seine Lektüre und Forschungsarbeit fortzusetzen und auf die vielen Briefe zu warten, die sicherlich am nächsten Tag kommen würden, da sie heute ausgeblieben waren.


    In dieser Nacht schlief er nicht gut und wachte zeitig auf. Er stieg aus dem Bett und begann schon während des Frühstücks aus dem Fenster nach dem Briefträger zu spähen. Schließlich sah er ihn um die Ecke kommen, und sein Herz tat einen Freudensprung. Der Briefträger jedoch ging an seinem Haus vorbei, ohne innezuhalten. Sinclair lief hinunter und rief hinter ihm her, ob denn keine Post für ihn gekommen sei, doch der Briefträger versicherte ihm, dass er nichts für ihn dabeihabe und dass es auch weder einen Poststreik gebe noch Verteilungsprobleme in der Stadt.
    Statt ihn zu beruhigen, wühlte ihn das nur noch mehr auf. Irgendetwas war geschehen, und er musste
    herausfinden, was es war. Er zog sein Jackett an und machte sich auf den Weg zum Haus seines Freundes Mario.


    Dort angekommen, ließ er sich vom Hausdiener anmelden und wartete im Wohnzimmer auf seinen Freund, der auch bald eintrat. Mit offenen Armen ging er auf den Hausherrn zu, aber der fragte nur: »Entschuldigen Sie, kennen wir uns?«
    Sinclair hielt es für einen Witz, lachte gezwungen und bat um ein Glas Wein. Mit dem verheerenden Ergebnis,
    dass der Hausherr seinen Diener rief und ihm befahl, den Fremden vor die Tür zu setzen, welcher angesichts der
    Lage die Beherrschung verlor und zu schreien und zu schimpfen begann, was dem kräftigen Angestellten nur noch mehr Grund bot, ihn gewaltsam auf die Straße zu befördern. . .
    Auf dem Heimweg begegnete Sinclair noch anderen Nachbarn, die ihn ignorierten oder ihn wie einen Fremden
    behandelten.


    Ein Gedanke setzte sich in ihm fest: Man hatte sich gegen ihn verschworen, und er hatte irgendeinen seltsamen Fehler begangen, so dass ihn nun ablehnte, wer vor wenigen Stunden noch große Stücke auf ihn gehalten hatte. Doch soviel er auch darüber nachgrübelte, er konnte sich an nichts erinnern, das als Beleidigung hätte gelten können, und schon gar nicht an etwas, das eine ganze Stadt gegen ihn hätte aufbringen können.


    Zwei Tage lang blieb er zu Hause, wartete auf die Post, die nicht kam, oder wünschte sich den Besuch seiner Freunde herbei, die, weil sie ihn vermissten, vorbeikommen würden, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Aber nichts dergleichen geschah: Kein Mensch näherte sich seinem Haus. Die Reinemachefrau blieb aus, ohne sich abzumelden, und das Telefon klingelte nicht mehr.


    Etwas wagemutig geworden durch ein Glas zu viel, beschloss Sinclair, in die Bar zu gehen, in der er sich sonst mit seinen Freunden traf, um die alltäglichen Nichtigkeiten zu besprechen. Kaum war er eingetreten, sah er sie wie üblich an ihrem Stammtisch in der Ecke sitzen. Der dicke Hans erzählte denselben alten Witz wie immer, und alle amüsierten sich wie gewöhnlich. Sinclair nahm sich einen Stuhl und setzte sich dazu. Sofort trat eisiges Schweigen ein, das deutlich machte, wie unerwünscht der letzte Ankömmling in der Runde war. Sinclair hielt es nicht mehr aus.
    »Darf man wissen, was ihr plötzlich alle gegen mich habt? Wenn ich etwas falsch gemacht habe, dann sagt es
    mir, und wir regeln das, aber hört auf, mich wie Luft zu behandeln, das macht mich noch wahnsinnig.«


    Die anderen schauten sich an, manche amüsiert, andere verärgert. Einer tippte sich zur Diagnose des Hinzukömmlings an die Stirn. Sinclair bat weiter um eine Erklärung, dann flehte er, und zuletzt fiel er auf die Knie und bettelte darum, man möge ihm sagen, was er denn verbrochen habe, dass man ihm das antat.
    Nur einer war bereit, das Wort an ihn zu richten.
    »Guter Mann, niemand von uns kennt Sie, also können Sie uns auch nichts angetan haben. Wir wissen noch nicht einmal, wer Sie sind.«
    Tränen stiegen ihm in die Augen, er verließ das Lokal und schleppte seine sterbliche Hülle nach Hause. Ihm war, als wöge jeder seiner Füße mehr als eine Tonne.
    Zu Hause angekommen, warf er sich auf sein Bett. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, war er zu einem
    Unbekannten geworden, zu einem Abwesenden. Aus den Adressbüchern seiner Briefpartner radiert wie auch aus dem Gedächtnis seiner Bekannten, und erst recht aus den Herzen seiner Freunde. In seinem Geist machte sich schlagartig ein Gedanke breit: die Frage, die sich die anderen stellten und die auch er selbst sich allmählich zu stellen begann: »Wer bist du?«


    Konnte er diese Frage wirklich beantworten? Er kannte seinen Namen, seine Adresse, seine Kragenweite, seine Ausweisnummer und ein paar andere Daten, die ihn nach außen hin definierten. Aber war das schon alles? Wer war er wirklich in seinem tiefsten Innern? All die Vorlieben und Aktivitäten, die Neigungen und Ideen, waren das wirklich seine eigenen? Oder waren sie, wie vieles andere auch, der Versuch, diejenigen nicht zu enttäuschen, die erwarteten, dass er der war, der er immer gewesen war? Da begann es ihm zu dämmern: Ein Unbekannter zu sein befreite ihn davon, etwas Bestimmtes sein zu müssen. Er konnte sein, wie er wollte, an der Reaktion der anderen auf ihn war sowieso nicht zu rütteln. Zum ersten Mal seit Tagen hatte er einen beruhigenden Gedanken: Er befand sich in einer Situation, die es ihm erlaubte, aus freien Stücken zu handeln, ohne auf die Bestätigung der Außenwelt zu warten.
    Er atmete tief und spürte die Luft wie neu in seine Lungen dringen. Er merkte, wie das Blut durch seine Adern
    lief, spürte den Herzschlag und war überrascht, dass er zum ersten Mal nicht zitterte.


    Jetzt, wo er schließlich und endlich wusste, dass er allein war, dass er es immer gewesen war, dass er niemanden hatte außer sich selbst, jetzt konnte er lachen oder weinen. Aber für sich selbst, nicht für die anderen. Endlich hatte er begriffen:
    Dass seine eigene Existenz nicht von den anderen abhing.
    Er hatte entdeckt, dass es nötig gewesen war, alleine zu sein, um sich selbst zu begegnen.
    Er schlief einen tiefen und ruhigen Schlaf und träumte süß.


    Um zehn Uhr früh wachte er auf und bemerkte, dass um diese Zeit ein Sonnenstrahl durchs Fenster fiel, der sein
    Zimmer in ein zauberhaftes Licht tauchte.
    Ohne zu baden, ging er die Treppe hinunter, summte ein ihm völlig unbekanntes Lied vor sich hin und fand unter
    seiner Tür eine riesige Menge an ihn adressierter Briefe.
    Die Reinemachefrau war in der Küche und grüßte ihn, als wäre nie etwas gewesen.
    Abends, in der Bar, schien sich keiner mehr an diese seltsam verrückte Nacht zu erinnern. Jedenfalls machte
    niemand auch nur die geringste Bemerkung in dieser Richtung.
    Alles ging wieder seinen normalen Gang, bis auf ihn,
    ihn, der zum Glück nie wieder jemanden brauchte, der ihn ansah, um zu wissen, dass er lebendig war,
    ihn, der nie wieder die Außenwelt darum bitten musste, ihn zu definieren,
    ihn, der nie wieder Angst vor Zurückweisung hatte.
    Alles war wie immer, nur dass dieser Mann nie wieder vergaß, wer er war...

  • Viel zu sagen habe ich eigentlich nicht, aber da mir seit Langem mal wieder das Video einfiel und ich mich fragte, ob ich es jemals gezeigt habe - und da ich diesen Thread viel zu sehr mag und jede Woche mindestens einmal hier hereinstiefel (auch wenn ich keine Kommentare hinterlasse.. denn OBWOHL ich jede einzelne lese und liebe, käme mir mein eigenes Getippe zu wiederholt vor, jede Woche wieder zu sagen: Woaw, ich mag die Moral! Dieses Video hat mich total schockiert und betroffen zurückgelassen! Die Geschichte war der helle Wahnsinn, ich hab die ganze Woche darüber nachgedacht <- alles echte Reaktionen, du kannst dir zusammenpuzzlen, was worauf galt xD Und jaaah, ich habe dir Lobhudeleien vorenthalten! Bwahaha xD)


    Nun ja, DA alles von alledem nunmal zutrifft, habe ich, bis das wahre Wort zum Sonntag reintrudelt, mal ein Video rausgesucht, das mich tatsächlich zu Tränen gerührt hat.
    Die Moral könnt ihr euch selbst überlegen. *g*


    (Ich glaube, sie steht sogar irgendwo am Ende)


    http://www.youtube.com/watch?v=btuxO-C2IzE


    "She wasn't waiting for a knight.

    She was waiting for a sword."


    - Atticus

  • Uh, vielen Dank für die mehr als angemessene Vertretung, die letzten Tage bin ich irgendwie nicht zu viel vernünftigem gekommen o_O"


    Und überdies fürs Lesen des Zeuges - und für die Lobhudelei natürlich auch, wobei es schon in Ordnung ist nicht nahezu damit gemästet zu werden, schon gar nicht wenn mans noch nicht mal verdient hat. ^_^"


    Und nun, als Schlusswort des dieswöchigen Wort des Sonntags füge ich Cazuh´s Beitrag lediglich noch einen Song hinzu, den ich euch gerne mal zeigen würde.


    Fabrizio de André - Un Blasfemo


    Das ist ein italienischer Song, der vom Sound her n bisschen ans Mittelalter erinnert. Und der von einem Gotteslästerer handelt...


    Fabrizio de André
    Ein Gotteslästerer


    Mai più mi chinai e nemmeno su un fiore
    Nie mehr habe ich mich gebeugt, nicht mal über eine Blume
    Più non arrosii nel rubare l`amore
    Nie mehr wurde ich rot beim Diebstahl der Liebe
    Dal momento che Inverno mi convinse che Dio
    Von dem Moment an als der Winter mich überzeugte, dass Gott
    non sarebbe arrossito rubandomi il mio.
    Nicht erröten würde, würde er meine stehlen.


    Mi arrestarono un giorno per le donne e il vino
    Eines Tages nahmen sie mich fest wegen den Frauen und dem Wein
    Non avevano leggi per punire un blasfemo,
    Sie hatten keine Gesetze um einen Gotteslästerer zu bestrafen,
    Non mi uccise la morte, ma due guardie bigotte,
    Nicht der Tod brachte mich um, sondern zwei scheinheilige Gendarmen,
    Mi cercarono l'anima a forza di botte.
    Sie prügelten mir die Seele aus dem Leib.
    Perchè dissi che Dio imbrogliò il primo uomo,
    Weil ich gesagt hatte, dass Gott den ersten Menschen betrog,
    Lo costrinse a viaggiare una vita da scemo,
    Er zwang ihn als Dummkopf durchs Leben zu reisen
    Nel giardino incantato lo costrinse a sognare,
    Im verzauberten Garten zwang er ihn zu träumen,
    A ignorare che al mondo c'è il bene e c'è il male.
    Zu ignorieren, dass es auf der Welt Gut und Böse gibt.


    Quando vide che l'uomo allungava le dita
    Als er sah wie der Mensch seine Finger ausstreckte
    A rubargli il mistero d'una mela proibita
    Um ihm das Geheimnis eines verbotenen Apfels zu stehlen
    Per paura che ormai non avesse padroni
    Aus Angst er würde nun keinen Herrscher mehr achten
    Lo fermò con la morte, inventò le stagioni.
    Hielt er ihn mit dem Tod auf, erfand die Jahreszeiten.
    E se furon due guardie a fermarmi la vita,
    Und wenn es zwei Gendarmen waren, die mein Leben beendeten,
    è proprio qui sulla terra la mela proibita,
    Ist hier auf der Erde der verbotene Apfel,
    E non Dio, ma qualcuno che per noi l'ha inventato,
    Und nicht Gott, sondern jemand, der ihn für uns erfunden hat,
    Ci costringe a sognare in un giardino incantato,
    Zwingt uns in einem verzauberten Garten zu träumen,
    Ci costringe a sognare in un giardino incantato.
    Zwingt uns in einem verzauberten Garten zu träumen.

  • Heut nur noch schnell zwei kleine Sachen, wobei ich mir die Beschreibung mal spare, zum einen muss ich rasch wohin - und zum anderen steigt man da ja auch ohne dummes Gefasel durch xD



    Ein Prediger, kam in einen Saal, um zu sprechen.
    Der Saal war leer, bis auf einen jungen Stallmeister, der in der ersten Reihe sass.
    Der Mann überlegte sich: "Soll ich sprechen oder es lieber bleiben lassen?"
    Schliesslich fragte er den Stallmeister: "Es ist niemand ausser dir da, soll ich deiner Meinung nach sprechen, oder nicht?"
    Der Stallmeister antwortete: "Herr, ich bin ein einfacher Mann, davon verstehe ich nichts. Aber wenn ich in einen Stall komme und sehe, dass alle Pferde weggelaufen sind und nur ein einziges dageblieben ist, werde ich es trotzdem füttern."
    Der Mann nahm sich das zu Herzen und begann seine Predigt.
    Er sprach zwei Stunden lang.
    Danach fühlter er sich sehr erleichtert und glücklich und wollte durch den Zuhörer bestätigt wissen, wie gut seine Rede war.
    Er fragte: "Wie hat dir meine Predigt gefallen?"
    Der Stallmeister antwortete: "Ich habe bereits gesagt, dass ich ein einfacher Mann bin und von so etwas nicht viel verstehe. Aber wenn ich in einen Stall komme und sehe, dass alle Pferde ausser einem weggelaufen sind, werde ich es trotzdem füttern. Ich würde ihm aber nicht das ganze Futter geben, das für alle Pferde gedacht war."




    __________________


    Der hungrige Fuchs


    Ich bin zu einer unglücklichen Stunde geboren!" so klagte ein junger Fuchs einem alten. "Fast keiner von meinen Anschlägen will mir gelingen."
    "Deine Anschläge", sagte der ältere Fuchs, "werden ohne Zweifel doch klug sein. Lass doch hören, wann machst du deine Anschläge?"
    "Wann ich sie mache? Wann anders, als wenn mich hungert?"
    "Wenn dich hungert?" fuhr der alte Fuchs fort. "Ja! da haben wir es! Hunger und Überlegung sind nie beisammen. Mache sie künftig, wenn du satt bist, und sie werden besser ausfallen."


    (Gotthold Ephraim Lessing)

  • Okay, es ist etwas spät geworden heut, ich hab nen ...leicht *ähem* sündigen Sonntag verbracht, allerdings hindert mich das nicht daran, auch heute wieder mit Hilfe einer kleinen Geschichte bedeutsam meinen Zeigefinger zu erheben... ^__^V


    xD


    Die Stadt Unduldsamkeit


    Es gibt eine Stadt, die riecht jeden Samstag nach Erbsensuppe und Bohnerwachs.
    Schon vor Zeiten roch sie nach Erbsensuppe und Bohnerwachs, wenn Samstag war. Während die Erbsensuppe auf dem Herd langsam gar wurde, rutschten die Hausfrauen auf den Knien über Fussböden und Treppenstufen und verteilten das Wachs, und ihre Gesichter waren rot wie beim Kuchenbacken. Wenn jemand den Wochentag vergessen hatte, brauchte er nur ein wenig in der Luft zu schnuppern: roch es nach Erbsensuppe, so wusste er, es war Samstag.
    Dies war eine so heilige Tradition, dass niemand gewagt hätte oder auch nur auf die Idee gekommen wäre, dienstags oder donnerstags Erbsensuppe zu kochen. Es war nicht anders, als hätte es sich um ein Gebot aus der Bibel gehandelt, und wenn es geheissen hätte: Am sechsten Tag kochte Gott Erbsensuppe, und am siebten ruhte er von seinem Werke, so hätte sich niemand darüber gewundert.
    Jenseits der Berge, so hatte man gehört, ja auf Reisen schon mit eigenen Augen gesehen, assen die Menschen samstags keine Erbsensuppe. Ganz verständlich wurde dies nie. Irgendwie mussten die Menschen vom rechten Wege abgekommen sein, den Willen der Natur missdeutet haben, die die Erbsen wachsen liess, damit die Menschen sie samstags zu Erbsensuppe kochten, wie jeder Vernünftige auf Erden wusste.
    Wenn man zwölf Stunden mit der Bahn fuhr, konnte man auf Leute treffen, die Dörrobst mit Räucherspeck zusammenkochten. Man denke, Speck und süsses Obst in einem Topf!
    Dazu assen sie Semmelklösse. Was mochten das für Menschen sein? Sie hatten den falschen Geschmack, sie hatten überhaupt die falsche Lebensart, die richtigen Grundsätze waren ihnen abhanden gekommen.
    Kaum war man ein paar Kilometer aus der Stadt heraus, die samstags Erbsensuppe ass, da fing das Falsche schon an! In einem Nachbarstädtchen sprachen die Leute ein wenig anders und naschten gerne Sachen vom Konditor, die sie lieber mochten als Wurst und Gemüse. Sah man nicht schon daran, wie verkehrt ihre Ansichten waren? Die Arbeiter dort nannten sich auch Arbeiter, haha, sie wirkten Hutbänder und Haarschleifen, und ein richtiger Arbeiter, das war doch nur einer, der mit Eisen und Stahl hantierte! Ob diese Welt die beste aller Welten war, schien fraglich, gewiss aber war die Stadt, die samstags nach Erbsensuppe roch, die beste aller Städte, als Siegelbewahrerin der absolut richtigen Ansichten, der Mittelpunkt der Weltordnung, um den alles andere kreiste, falsch und falscher, je weiter man sich von ihm entfernte.
    Das Überraschendste aber war, dass jene Fremden verstockt auf ihren Ansichten beharrten, von deren Richtigkeit sie ihrerseits so fest überzeugt waren, dass sie Nachrichten über das Leben der besten aller Städte als Kunde aus einer verschrobenen Welt bestaunten. So weit konnte die Verwilderung der Menschen gehen, dass sie das Wahren nicht einmal lernen wollten. Nun, mochten die Leute es bei sich daheim treiben so falsch wie sie wollten - in der Stadt, von der die Rede ist, hätte man es nicht geduldet.
    Die Stadt heisst Unduldsamkeit. Ihre Bürger verfügen über das Rezept, richtig zu essen, zu trinken, zu arbeiten, zu denken und zu leben. Rund zwei Jahrtausende ist es her, dass ein Philosoph zu ihren Einwohnern folgendes sagte: "Es wäscht sich jemand mit Eile. Sage nicht: er macht es schlecht, sondern: er wäscht sich mit Eile. Es trinkt jemand viel Wein. Sage nicht: Er tut schlecht daran, sondern: er trinkt viel. Denn woher weisst du, ob es schlecht ist, bevor du den Grund der Sache erforscht hast?"
    Aber die Stadt Unduldsamkeit weiss, was schlecht ist und was gut, das Erforschen ist nicht ihre Sache.
    Wir alle sin ein wenig Bürger jener Stadt, der eine mehr, der andere weniger, der eine schwört auf Salzkartoffeln und Naturalismus, der andere auf Mehlspeisen und moderne Kunst. So lasst uns doch, wenn schon die Unduldsamkeit uns allen ein wenig im Blute liegt, unduldsam sein gegen die Unduldsamkeit! Denn im engen Kreis der Selbstgerechtigkeit ist ihre Lokalchronik recht angenehm zu hören; wo sie aber Geschichte schrieb, ist das Sündenregister des Menschengeschlechts daraus geworden.



    (Hellmut Holthaus)

  • Magnifico! Wie immer einfach nur Klasse :D


    *thumbs up*
    recht hat er.
    und an dich haggard:
    klasse das du das machst find das echt cool. mach weiter so auf dass die belehrungen weitergehen ;)
    nein ich find das echt gut was du da machst. so hat man auch was zum nachdenken.

    Nur ein Schritt zum kurzen Glück
    Und wir spielen verrückt

  • Hey! Da seh ich gerade, mein Pin ist vom Thread abgefallen! Sakrileg!
    Gottseidank genügen die Rechte mir, das wieder gradezubiegen. *neuen Pin zück und Thema wieder oben festhalt* *nochmal paar Nägel hinzufügt*
    So, sollte halten. Weh dem Frevler, der es wagt, den Adelsstatus dieses Threads in Frage zu stellen...



    Auch wenn ich neuerdings nicht dazu kam, überhaupt mal zu kommentieren und meine alten Kommentare wegen technischen Schwierigkeiten nicht mehr vorhanden sind, solltest du wissen, dass ich deine Denkanstöße mit großem Interesse verfolge. n.n

    にゃそれで。

  • Mouh... hättet ihr mich angepammt hätt ich prima damit umgehen können (Gleichgültigkeit ftw! xD ) aber so fühl ich mich ja doch fast n wenig unter Druck gesetzt. Aber ich versuche mich wenigstens soweit zu bemühen, als das der Kram den ich euch noch n Weilchen vorsetze (weil n bisschen was hab ich noch da) sich zumindest einigermassen lesen lässt.
    Wobei, wie auch schon des öfteren gehabt, auch weiterhin manchmal Sachen darunter sein werden die man auch als reichlich seltsam auslegen kann, dafür bitte ich um Entschuldigung xD"


    Und nun wünsch ich wiederum gute Unterhaltung mit den beiden heutigen Geschichtschn, bei denen ich einfach mal ein paar Mönche ausm Zylinder hole. Die erste handelt übrigens von der Tatsache dass tugendhaftes Verhalten und Hilfsbereitschaft weniger eine Frage von steifen Vorschriften ist, sondern dass es - auch bei Mönchen - in erster Linie im Kopf beginnt...


    Zwei Mönche waren auf der Wanderschaft. Eines Tages kamen sie an einen Fluss. Dort stand eine junge Frau mit wunderschönen Kleidern. Offenbar wollte sie über den Fluss, doch da das Wasser sehr tief war, konnte sie den Fluss nicht durchqueren, ohne ihre Kleider zu beschädigen. Ohne zu zögern ging einer der Mönche auf die Frau zu, hob sie auf seine Schultern und watete mit ihr durch das Wasser. Auf der anderen Flussseite setzte er sie trocken ab.
    Nachdem der andere Mönch auch durch den Fluss gewatet war, setzten die beiden ihre Wanderung fort. Nach etwa einer Stunde fing der eine Mönch an, den anderen zu kritisieren: "Du weisst schon, dass das, was Du getan hast, nicht richtig war, nicht wahr? Du weisst, wir dürfen keinen nahen Kontakt mit Frauen haben. Wie konntest Du nur gegen diese Regel verstossen?"
    Der Mönch, der die Frau durch den Fluss getragen hatte, hörte sich die Vorwürfe des anderen schweigsam an. Dann antwortete er: "Ich habe die Frau vor einer Stunde am Fluss abgesetzt - warum trägst Du sie immer noch mit Dir herum?"


    _________________


    Und die zweite Geschichte handelt von einem alten Meister, dessen Ansichten ich ebenfalls vernünftig und sympatisch finde xD

    Zu viel Philosophie...


    Ein Besucher wollte Schüler in einem Kloster werden. Zuvor wollte er aber mit dem Meister sprechen. "Meister, könnt Ihr mich lehren, was das Ziel eines Menschenlebens ist?"
    "Das kann ich nicht."
    "Oder wenigstens seinen Sinn?"
    "Das kann ich nicht."
    "Könnt Ihr mir das Wesen des Todes erklären und eines Lebens jenseits des Grabes?"
    "Das kann ich nicht."
    Wütend ging der Besucher davon. Die Schüler waren enttäuscht darüber, dass ihr Meister eine so schlechte Figur gemacht hatte. Da sagte der Meister tröstend zu ihnen: "Was nützt es, die Essenz des Lebens zu verstehen und seinen Sinn zu begreifen, wenn Ihr es nie gekostet habt? Mir ist es lieber, Ihr esst euren Pudding, als dass Ihr nur über ihn spekuliert."

  • Soho, heute gibts nen Trip in Geschichte und Vergangenheit, und den Anfang macht die Eisenbahnballade von Reinhard Mey, die zwar eigentlich ein Song ist (den man sicherlich auch auf Youtube findet) aber deren Text auch nur für sich genommen ne recht lesenswerte Sache ist - wie zumindest ich find xD"

    Die Eisenbahnballade


    Ein dichter Nebel senkte sich auf die große, fremde Stadt.
    Ein langer Arbeitstag lag hinter mir, ich war abgespannt und matt.
    Zu müde für die Autobahn, zu spät für den letzten Flug.
    Doch ich wollte nach Haus, und da fand ich heraus, gegen Mitternacht ging noch ein Zug.


    Es blieb noch etwas Zeit, ich wußte nicht wohin, so stand ich am Bahnhof herum:
    einem Prunkbau aus längst vergangener Zeit, Drängeln, Suchen und Schieben ringsum.
    Ich sah die Reisenden, die Wartenden und die Gestrandeten der Nacht,
    so viel Gleichgültigkeit, so viel Jammer und Leid unter so viel kalter Pracht.


    Ich trat auf den offenen Bahnsteig hinaus, die naßkalte Luft hielt mich wach.
    Ich fröstelte, schlug meinen Kragen hoch und sah meinem Atem nach.
    Aus der Dunkelheit schwebten überm Gleis drei Lichter, mein Zug fuhr ein.
    Eine Wagentür schlug. Es war warm in dem Zug, und ich war im Abteil ganz allein.


    Lautlos fuhren wir an, und die Lichter der Stadt versanken in milchigem Brei,
    und immer schneller flogen erleuchtete Fenster und Vorstadtbahnhöfe vorbei.
    Noch ein Bahnübergang, ein paar Scheinwerfer und die Welt da draußen verschwand.
    Mein Abteillicht fiel in weiß auf den Schotter am Gleis, und ich ahnte das dunkle Land.


    Und durch die Dunkelheit drang der monotone Klang der Räder auf dem Schienenstrang,
    ein einsamer Gesang, den stählernen Weg entlang.




    Vorn an der Trasse standen sie, die Haut wettergegerbt.
    Mit ihren Spaten hatten sie Adern ins Land gekerbt.
    Mit Hacken und mit Hämmern hatten sie Berge bewegt
    Und Schwellen über Schotter und darauf Schienen gelegt.


    In bittrem Frost, sengender Glut, in Regen, Tag für Tag,
    Nachts einen Strohsack auf dem Boden im Bretterverschlag.
    Und wieder auf beim Morgengrau'n für jämmerlichen Lohn
    Und noch ein neues Vermögen mehr für den Stahlbaron.


    Und bald fauchte das Dampfroß funkensprühend durch das Land.
    Manch' neue Industrie und manch' Imperium entstand,
    Manch unschätzbarer Reichtum, doch an jedem Meter Gleis,
    jeder Brücke, jedem Tunnel klebten Tränen, Blut und Schweiß.


    Die Eisenbahn trug Fortschritt, technische Revolution
    in jedem Winkel, bis in die entlegenste Station.
    Trug Güter von den Seehäfen bis an den Alpenrand,
    verband Menschen und Städte und trug Wohlstand in das Land.


    Doch der großen Erfindung haftet stets die Tragik an,
    dass sie dem Frieden, aber auch dem Kriege dienen kann.
    Endlose Rüstungszüge rollten bald schon Tag und Nacht:
    Kriegsgerät und Kanonen war'n die vordringliche Fracht.


    Schon drängte sich auf Bahnhöfen siegesgewiß das Heer,
    Den Jubel auf den Lippen und mit Blumen am Gewehr,
    In fahnen- und siegesparol'n behangene Waggons
    nach Lemberg oder Lüttich, nach Krakau oder Mons.


    Im Trommelfeuer von Verdun erstarb der Siegeswahn,
    aus Zügen wurden Lazaretts, und diesmal sah die Bahn
    den Rückzug der Geschlagenen und - den Kriegsherren zum Hohn
    im Waggon im Wald von CompiŽgne, die Kapitulation.


    Millionen Tote auf den Schlachtfeldern, sinnloses Leid.
    Wer heimkehrte, fand Elend, Not und Arbeitslosigkeit.
    Doch auf dem Boden des Zusammenbruchs gediehen schon
    die Schieber und die Kriegsgewinnler, die Spekulation.


    Aber es sproß auch aus den Wirr'n verstrickter Politik
    der zarte, schutzbedürft'ge Halm der ersten Republik.
    Doch Kleingeist, Dummheit und Gewalt zertrampelten ihn gleich
    mit Nagelstiefeln auf dem Weg ins Tausendjähr'ge Reich.


    Die Unmenschen regierten, und die Welt sah zu und schwieg.
    Und wieder hieß es: "Räder müssen rollen für den Sieg!"
    Und es begann das dunkelste Kapitel der Nation,
    das dunkelste des Flügelrades: Die Deportation.


    In Güterwaggons eingeschlossen, eingepfercht wie Vieh,
    verhungert und verzweifelt, nackt und frierend standen sie,
    hilflose Frau'n und Männer, Greise und Kinder sogar,
    auf der bittren Reise, deren Ziel das Todeslager war.


    Dann aber brach' der Zorn der Gedemütigten herein,
    kein Dorf blieb da verschont, da blieb kein Stein auf einem Stein,
    und Bomben fielen, bis das ganze Land in Flammen stand,
    die Städte ausradiert war'n und der Erdboden verbrannt.


    Der Krieg war mörderischer als jemals ein Krieg zuvor,
    und schwer gestraft das Volk, das ihn frevelnd heraufbeschwor.
    In Trümmern und Ruinen strichen sie hungernd umher,
    die überlebenden, die Ausgebombten, nichts ging mehr.


    Und immer längere Flüchtlingstrecks kamen Tag für Tag
    und Irrten durch ein Land, das unter Schutt und Asche lag.
    Der Überlebenswille zwang sie, nicht zu resignier'n,
    die Aussichtslosigkeit, das Unmögliche zu probier'n:


    Noch aufzuspringen, wenn irgendwo ein Hamsterzug ging,
    wenn an den Waggontür'n schon eine Menschentraube hing.
    Ein Platz auf einem Puffer, einem Trittbrett bestenfalls
    mit Hoffnung auf ein bißchen Mehl, Kartoffeln oder Schmalz.


    Was auf dem Bahndamm lag, wurde von Kindern aufgeklaubt,
    und manch ehrlicher Mann hat manchen Kohlenzug beraubt.
    Und dann kamen die Züge mit den Heimkehrern besetzt,
    Verwundet und zerschunden, abgerissen, abgewetzt.


    Wie viele Dramen spielten sich auf den Bahnsteigen ab!
    Suchen und Freudentränen, wo's ein Wiedersehen gab,
    warten, Hoffen und Fragen, wird er diesmal dabei sein?
    Viele kamen vergebens, und viele gingen allein.


    Zerschoss'ne Loks und Wagen wurden recht und schlecht geflickt
    und auf ein abenteuerliches Schienennetz geschickt.
    Und der Puls begann zu schlagen, und aus dem Nichts entstand,
    mit Hoffnungen und Träumen beladen, ein neues Land.




    Und durch das Morgengrau'n drang der monotone Klang der Räder auf dem Schienenstrang,
    Ein schwermütiger Gesang, den stählernen Weg entlang.


    Das Rattern der Räder über eine Weiche rief mich in die Gegenwart.
    übernächtigt war ich aufgewacht, ich war fast arn Ziel meiner Fahrt.
    Ich rieb mir die Augen und rekelte mich, das Neonlicht schien fahl,
    und im leeren Raum zwischen Wachen und Traum sah ich sie noch einmal:


    Der Adler, der Fliegende Hamburger, die Preußische P 8,
    und die sagenumwobene 05 feuchten vor mir durch die Nacht.
    Ein Gegenzug auf dem Nachbargleis riß mich aus den Träumen heraus.
    Ein Blick auf die Uhr, zehn Minuten nur, und zum Frühstück wär' ich zu Haus.


    Draußen konnt' ich für Augenblicke in erleuchtete Fenster sehn.
    Sah' die Menschen auf dem Weg zur Arbeit auf den Vorstadtbahnhöfen steh'n,
    sah' die Scheinwerfer der Autos vor den Schranken am Bahnübergang,
    und eine Hoffnung lag über dem neuen Tag und in dem Sonnenaufgang...



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    So. Und nun wollte ich euch noch was zeigen... Ich weiss, es zählt sicherlich zur Sparte "Special Interest" aber so ungefähr kennt wohl jeder die Geschichte um Dädalus und Ikarus.


    Nun gibts es aber auch ne von Jim Henson verfilmte detailreiche Version davon, die ich leider nur auf englisch gefunden habe aber die ich euch trotzdem ma ans Herz legen möchte wenn es euch nicht zu schwer fällt ihr zu folgen. Zum einen ist sie wirklich kurzweilig und leidenschaftlich erzählt, und zum anderen... allein schon die schauspielerische Leistung des sinistren Königs Minos sollte man einfach mal gesehen haben! xD


    Daedalus and Icarus Teil 1
    Daedalus and Icarus Teil 2
    Daedalus and Icarus Teil 3

  • Jap, Sonntag ist`s. Und nachdem ihr letzte Woche verschont geblieben seid kriegt ihr heute gleich wieder zwei Sachen vorgesetzt, von denen die zweite zweifellos zur Extrem lang- Kategorie zählt. Muahahahar...
    (Und obendrein gibts auch nichts grossartiges aus ihr zu lernen, es ist mehr eine Art Momentaufnahme aus dem Leben einiger unterschiedlicher Menschen, aber irgendwie gut geschrieben, wie moi fand.)


    Der Palast - eine Parabel


    Ein armer Mann kam zum Rabbiner: "Es ist schrecklich, Rebbe, ich bin geschlagen wie Hiob. Ich, mein Weib, meine acht Kinder und zu allem Überfluss auch noch meine Schwiegermutter, wir leben in einem einzigen Zimmer miteinander."


    Fragte der Rebbe: "Haste Hühner?"
    "Ja, vier."


    "Nimm sie herein ins Zimmer."


    Nach einer Woche kam er zum Rabbi und sagte: "Es ist noch schrecklicher. Die Hühner machen alles dreckig. Eins hat gepickt den Säugling, mein Weib hat gejagt das Huhn über die Betten."


    Der Rabbi fragte: "Haste ein Kalb?"


    Und als der Mann ängstlich nickte, sagte er: "Nimm herein das Kalb."


    Nach vier Tagen kam der Mann angerannt: "Rebbe, ich kann`s nicht aushalten länger! Das Kalb brüllt und trampelt auf den Kindern herum, die Hühner fliegen durch`s Zimmer und legen Eier ins Bett." Der Rabbi dachte jetzt lange nach, dann fragte er: "Haste ein Pferd?"


    "Ja, ich hab` eins, ein kleines - aber Ihr werdet doch nicht wirklich wollen, dass..."


    "Nimm herein den Gaul sofort", verlangte der Rabbi.


    Schon am anderen Morgen kam der Mann schreiend angerannt: "Das ist zu viel! Keine Minute länger will ich aushalten diese Hölle. Wir werden alle völlig meschugge."


    "Nun", sagte der Rabbi, "wenn Du es wirklich nicht länger aushalten kannst, nimm heraus die Hühner, nimm heraus das Kalb, nimm heraus den Gaul."


    Der Mann rannte heim. Nach einer Stunde kam er wieder, lachte, klatschte in die Hände und schlug sich die Schenkel: "Rebbe, ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Uns ist, als säßen wir in einem Palast..."


    xD"


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    Regen (von Wastebo)


    Der alte Mann steht vor seinem Cafe. Sein Blick geht in den Himmel. Außer Wolken sieht er nichts. Es bleibt nicht viel Zeit, bis zum Regen, und auch sonst. Wenn er sich umdreht, blickt er auf Plastiktische und zugeklappte Sonnenschirme. Wieso die da noch stehen, weiß er nicht. Er ist sich nicht einmal sicher, weshalb er selbst noch da ist.


    Die Tische werden nass, das ist alles, was er denkt. Man muss sie fortschaffen bevor der Regen kommt. Vielleicht wird er sie auch stehenlassen, im Grunde spielt es keine Rolle. Die Geschäfte gehen schlecht, früher war das anders. Seitdem regnet es auch mehr. Wegen den Polkappen, die schmelzen oder der Erde, die angeblich immer wärmer wird, nicht hier, im Gesamten, es ist schwer zu sagen. Könnte er nochmal von vorn anfangen...aber Neuanfänge gibt es keine und wer kann wissen, ob dann alles besser oder auch nur anders wäre.


    Die Autos rollen wie von selbst vorbei, aus manchen blicken Kinder, ihre Augen sind groß und müde. Sie wissen auch nicht, was sie sagen sollen. Er hat schon daran gedacht, sich einfach auf die Straße zu stellen, alles was es dazu bräuchte, wär ein bisschen Hoffnung und ein Schild, aber bis jetzt hat er keine Idee, was man darauf schreiben kann. Er reibt sich die Augen und beginnt zwischen den Tischen herumzulaufen, bleibt ab und zu stehen, um mit der Hand über das Plastik zu streichen, es ist noch warm. Auf der anderen Straßenseite geht eine Frau mit zwei großen Einkaufstüten, immer wieder richtet sie den Blick nach oben.


    Angenommen, es beginnt zu regnen, in diesem Augenblick, dann, überlegt er, blickt sie hier herüber, blinzelt, zuckt die Schultern und rennt quer über die Straße direkt in das Cafe. Er bringt ihr einen Kaffee und erhält dafür ein Trinkgeld und ein Lächeln, weil sein Kaffee gut ist. Noch regnet es nicht, er greift nach dem Besen und fegt den Boden zwischen den Tischen. Aber der Staub ist in der Überzahl und er weiß auch gar nicht, was er will. Schon bald lässt er sich auf einen Stuhl fallen und starrt ratlos auf die Straße oder in den Himmel, je nachdem, wohin der Blick gerade geht. Irgendwann steht er auf und geht in den Laden. Als er wieder rauskommt, hat er ein Schild aus Pappe unterm Arm, stellt es auf die Straße und setzt sich wieder hin. Auf dem Schild sind nur ein Pfeil und etwas, das eine kleine Sonne sein soll.


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    Die Sonne ist schon seit dem Morgen verschwunden. Bisher hat sich niemand auf die Suche nach ihr gemacht, es hätte auch gar keinen Sinn. Links und rechts stemmen sich die Häuser in den Wind, die Straße liegt bereits am Boden. An den Fenstern kleben die Gesichter der Alten wie traurige Fensterbilder. Auf dem Gehsteig läuft ein Mädchen. Sie wird gar nicht gesehn. Sie ist ja auch schon fast nicht mehr da, nur noch ein Punkt, vielleicht nicht einmal das. Die Straße ist grau und der Himmel ist grau. Als Unterscheidung zwischen oben und unten bleibt das Wort.


    Wenn ein Windstoß kommt, geht er einfach durch das Mädchen durch, oder auch an ihr vorbei, man weiß es nicht. Da sind Stimmen in der Ferne und das Geräusch von knackenden Zweigen. Sie will nichts sehen, nichts hören und nichts wissen. Es gibt auch gar nicht viel zu sehn. Vereinzelt rollen Kinder über die Straße und die Worte liegen wie der Regen in der Luft. Das Moos spürt sie auch dort unter den Füßen, wo gar keines wächst, sie stolpert über Kieselsteinchen und zittert mit den Blättern. Alles in allem gab es schon bessere Zeiten. Was bleibt, ist ein kleines rotes Licht am Ende des Tunnels.


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    Karl hat die Ampel nicht gesehn, Karl sieht überhaupt nichts mehr. Laura hat ihren Gurt losgemacht und hängt zwischen Karl und dem Lenkrad und küsst ihn auf den Mund. Karl schiebt sie sanft zurück auf den Beifahrersitz und versucht sich wieder auf die Straße zu konzentrieren. „Schatz, ist ja schön, dass du dich so auf das Essen freust, aber wenn du so weitermachst, werden wir nicht heil ankommen. Außerdem ist es doch nur...ich meine, es ist bloß ein Geschäftsessen.“ Laura rutscht auf ihrem Sitz herum. „Aber du bist sonst nie zu Geschäftsessen eingeladen, es kann sehr wichtig sein, hast du gesagt. Hast du doch? Alle, die bei euch was zu sagen haben, sind da. Das waren deine Worte. Ich bin schon ganz kribbelig. Geht es dir nicht auch so?“ Karl blickt stumm geradeaus. „Schatz, was ist denn los, warum sagst du nichts?“ „Es ist nichts.“ Zur Bekräftigung klopft er mit der flachen Hand auf das Steuer.


    Laura schaut wieder zum Fenster hinaus. Dann dreht sie den Kopf und lächelt. Karl lächelt zurück. „Ja, vielleicht ist es wichtig, aber das braucht dich nicht zu kümmern, ich werde das schon hinkriegen, irgendwie.“ Sie sagt: „Schau mal, der Himmel, es sieht nach Regen aus. Wollen wir nicht draußen grillen, morgen?“ Karls Hände legen sich etwas fester um das Lenkrad, aber sie bemerkt es nicht. „Ja, morgen, aber ist das denn jetzt so wichtig, was morgen ist?“


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    Mit einem kräftigen Ruck wischt der alte Mann das Selbstmitleid beiseite. Man hat ihm Hände gegeben, damit er etwas tun kann, und es sind nicht irgendwelche Hände. Kräftig und geschickt sind sie, das sieht er mit einem Blick. Das Glück liegt in der Ferne, er weiß von Ländern, Ländern ohne Regen, warme Länder, Länder wie das Paradies. Wenn er nochmal von vorn anfangen könnte, dann dort, das ist sicher. Er steht am Fenster und sieht und hört und riecht das Meer. Darin sind Wellen bis an den Horizont und irgendwo dazwischen die Boote der Fischer wie kleine Inseln, mit ihren bunten Segeln. Er schließt die Augen und hat nicht vor, sie in nächster Zeit wieder aufzumachen.


    Auf den Wellenkämmen treibt die Möglichkeit. Alles ist ganz einfach, der Laden wird verkauft und dann nichts wie weg, über den Schatten und den Ozean, ehe es zu spät ist. Als er die Augen wieder öffnet und sich in der Fensterscheibe sieht, weiß er, dass es bereits jetzt zu spät ist. Er steht auf, streckt die Arme aus und lässt sie wieder runterfallen. Ein paarmal geht das so und wenn man ihn sieht, muss man an einen Vogel denken, der nicht fliegen kann.


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    Es ist wie mit den Seifenblasen, ein Fliegen und Zerplatzen, denkt das Mädchen. Unter ihren Füßen, vor ihren Augen, hinter ihrem Rücken, an ihrer Seite marschiert das Leben weiter, hier tanzen sie, aus der Reihe und auf Nasen und dort drüben taumeln sie wie Blinde. Sie fühlt sich fehl am Platze, irgendwie passt das alles nicht zusammen. Jetzt läuft sie durch die Straßen und ist gefangen in der Grauzone zwischen Herbst und Winter, und nachher, was ist nachher. Nichts ist mehr sicher, die Wolken baumeln an unsichtbaren Fäden und was ist, wenn sie fallen, gibt es ein Geräusch, ein Wort oder etwas in der Art.


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  • „Ist auch wirklich alles in Ordnung? Schatz?“ Laura berührt Karl am Arm. „Glaubst du, dass ich nicht sehe, wie...Hey, das war eben wieder eine rote Ampel. Soll nicht besser ich fahren?“ Karl holt tief Luft. „Nein!“, sagt er, „Wir sind auch so schon spät dran, lass mich einfach in Ruhe fahren, vielleicht schaffen wir es noch.“ „Aber wieso hast du es denn so eilig? Du hast doch selbst gesagt, es wäre nur ein Geschäftsessen. Sag mir, was los ist, Karl. Bitte sag es mir.“ Karl schweigt. Neben ihm knarrt das Leder von Lauras Sitz. „Nichts ist los, gar nichts ist los. Und bald wird noch weniger los sein.“ Er wirft den Kopf zurück in die Nackenstütze.


    Laura reibt mit der Handfläche auf ihrem Sitz herum. „Was meinst du damit? Ich verstehe ja gar nichts von dem, was du da redest.“ Eine Weile sagen beide nichts. Karl sieht auf die Straße und Laura legt den Kopf an die Scheibe. Dann schaut sie wieder Karl an. „Erklär es mir.“ Karl schüttelt den Kopf. „Du würdest es nicht verstehen.“ Sie schlägt mit der Faust auf die Hutablage. „Du verstehst es nicht, du verstehst es nicht. Ich kann es nicht mehr hören. Wieso machst du so ein Geheimnis aus deiner Arbeit? Ich weiß zwar nicht, für wie dumm du mich hälst, aber ich denke, ich habe sehr wohl das Recht, mehr darüber zu erfahren.“ Karl tritt das Gaspedal bis zum Anschlag durch. „Das Recht!“ Sein Lachen klingt erstickt. „Verdammt nochmal.“


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    Die Wolken verdichten sich allmählich. Der Himmel lässt sich nicht in seine Karten schauen, sagen diejenigen, die das Hoffen nicht aufgeben. Am Ende der Straße ist ein kleines Licht. Fast hätte sie es nicht bemerkt. Das Mädchen geht langsam darauf zu und sieht Plastiktische und zusammengeklappte Sonnenschirme. Jeder hat eine andere Farbe, sie sehen aus wie bunte Inseln. Dazwischen steht ein Mann, mit den Armen flatternd wie ein Vogel, der das Fliegen lernt. Als nur noch die Straße zwischen ihr und dem Cafe ist, bleibt sie stehen. Sie beobachtet den Mann und das Licht, das dahinter durch das Fenster nach außen dringt. Ihr fallen keine Worte ein, einige hat sie verloren, einige sind nutzlos und den Rest hat sie noch nie gehört.


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    Laura schreit irgendetwas, Karl hört nicht darauf. Erst, als sie sich zu ihm herüberbeugt und mit dem Finger auf die Straße zeigt, sieht er es auch. Mitten auf der Fahrbahn steht ein Schild. Darauf sind ein Pfeil und noch etwas anderes gemalt. Karl reißt das Lenkrad herum. Das Mädchen hat er nicht gesehn, sie ist blass und durchsichtig wie ein Stück Nebel. Zum Bremsen ist es bereits zu spät. Er versucht es trotzdem, aber es ist ein wenig verzweifelt und seine Augen sind auch schon geschlossen. Neben ihm beginnt Laura schrill zu kreischen. Karl wartet auf einen dumpfen Schlag, aber er kommt nicht, da ist nur ein leichter Ruck. Ein Augenblick noch und der Wagen kommt zum Stehen. Bis auf Lauras Schnaufen ist alles still.


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    Eine Weile tut sich nichts, dann gehen die Autotüren auf. Es sind ein Mann und eine Frau. Durch den Regen versteht er nicht, was sie sagen, aber auf den Gesichtern glaubt er zu erkennen, was sie sagen wollen. Der alte Mann macht ein paar Schritte auf die Straße zu, am Bordstein bleibt er stehn und wartet. Nach einer Weile setzt er den Fuß auf die Straße und geht zu den beiden hin.


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    Ohne, dass es jemandem aufgefallen ist, hat der Regen eingesetzt. Zu dritt stehen sie neben dem Mädchen, Karl und Laura auf der einen Seite, der alte Mann auf der anderen. Keiner sagt etwas, alle betrachten sie das seltsame Gesicht. Karl geht in die Knie, er murmelt etwas, dann verstummt er. Mit den Fingern berührt er den Arm des Mädchens. „Ich glaube, sie lebt“, sagt er. „sie ist verletzt.“ Als der Satz aus seinem Mund heraus ist, klingt er nicht mehr richtig. Laura nickt leicht. „Einen Krankenwagen.“


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    Der alte Mann springt über den Besen, er liegt noch immer an der selben Stelle. Er wird ihn nicht mehr brauchen, der ganze Staub ist bereits fort, wegen dem vielen Regen, dem Gletscherschmelzen, der Erwärmung, was auch immer. Von den Sonnenschirmen tropft das Wasser, sie sind rot und blau und gelb und weiß, der Alte fasst sich an den Kopf. Er muss an Papageien denken, als er nach dem Hörer greift. Sie sind bunt und bringen ihn zum Lächeln, aber wichtig ist das nicht mehr.