In den acht Tagen ihrer Reise kamen sie Tegarin immer näher. Die letzten Tage hatte sich Thea dem Training mit Killian gewidmet, mit dem sie außerhalb des Trainings aber nicht so viel Zeit verbrachte. Ihre Freizeit verbrachte sie meistens mit Lio, der der einzige Freund war, den sie sich bisher aus der Gruppe gemacht hatte. Thea war sich nicht sicher, ob Lio sie genauso sah. aber sie war die einzige, mit der er wirklich Zeit verbrachte, also bedeutete das vielleicht etwas. Er war immer in ihrer Nähe, außer, wenn sie gerade trainierte. Sonst versuchte Thea weiterhin Konversationen mit Sorona zu führen, die nun etwas mehr mit ihr sprach. Die anderen Mädchen waren immer noch genauso wenig umgänglich wie vorher, aber Thea hegte die Hoffung, dass sich das vielleicht mit der Zeit änderte. Einen kleinen Erfolg hatte sie schon bereits mit Keiko, als sie zusammen mit Liorenth Kleidung eingekauft hatten. Wenn Phyros Thea ansprach, kicherte und stotterte sie wie immer in seiner Nähe, was sie einfach nicht abstellen konnte. Glücklicherweise war Lio nicht so ein Strahlejunge wie er. Mit Crane hatte Thea bisher noch nicht so viele Worte gewechselt, aber sie hatte an einem Tag seinen Alkohol versteckt, weil sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte, da er nie nüchtern war, aber er wurde dann so unausstehlich, dass sie ihm alles wieder heimlich zurückgegeben hatte.
Die Male auf ihren Körpern wurden sichtbarer und Thea erwischte sich immer wieder dabei, wie sie mit ihrem Daumen über ihren Handrücken strich. Keiko sprach Thea in den letzten Tagen einmal an wegen einer ihrer Vermutungen und als das Gespräch beendet war, hatte sie sie darum gebeten, erst einmal Stillschweigen zu bewahren. Vielleicht würde sie es selbst bei der nächsten Gruppenbesprechung erwähnen.
Thea und die anderen außer Lio, Killian und Crane kamen gerade von einer nahegelegenen Handelsgilde zurück. Thea hatte die Kapuze ihrer Robe über ihren Kopf gezogen und hielt ihre Hände in den langen Ärmeln versteckt. Sie erblickte Lio und Killian, aber Crane schien verschwunden zu sein. Als Thea Lio genauer begutachtete, legte sie das ab, was sie trug und ging schleunigst zu ihm.
Lio? Was ist denn mit dir passiert?
Lios Gesicht war voller Schnittwunden, ebenso seine Hand. Dafür war sein Bart aber weg, was Thea so aber besser gefiel. Männer mit Bärten waren nicht ihr Typ und bei Lio sah es vorher so aus, als wäre ein Tier auf seinem Gesicht gestorben. Er erklärte ihr, er hätte sich rasiert und Killian hätte ihm dafür Rasierseife geliehen. Woher die Wunde an seiner Hand kam, wollte er nicht sagen, aber Thea kam der Blickwechsel zwischen Lio und Killian merkwürdig vor.
Hattet ihr vielleicht einen Trainingskampf?, fragte Thea neugierig. Lio verneinte dies und sagte, es wäre ein Unfall gewesen.
Das will ich mal hoffen. Lio hat Angst vor Waffen, du und Phyros solltet euch mit denen vor ihm fernhalten, sagte Thea zu Killian in einem besorgten Unterton. Killian versicherte, er würde es ihm ausrichten und dann ging er davon.
Die Abenddämmerung brach an. Die Gruppe sortierte ihre Einkäufe und legten das Holz zurecht, das sie vorher für ein Lagerfeuer gesucht hatten. Lios Feuermagie war nützlich, um schnell und leicht ein Feuer entzünden zu können. Nachdem sie zu Abend gegessen hatten, gingen alle früher schlafen als üblich, außer Thea und Lio, die Nachtwache hatten und Keiko, die die Gegend erkundschaftete. Sie war die einzige, die nie für die Vorbereitung eines Lagerfeuers geholfen hatte. Es war Theas erste Nachtwache, während alle anderen aus der Gruppe bisher schon mindestens einmal eine Nachtwache hatten. Sie schienen ihr wohl bisher noch nicht so viel zuzutrauen, was sie aber nachvollziehen konnte. Die beiden setzten sich an auf einen Holzbalken am Lagerfeuer. Theas Kopf war nicht mehr von der Kapuze ihrer Robe bedeckt und sie spielte mit einem Stock in ihren Händen.
Keiko braucht anscheinend keinen Schlaf, oder?, fragte Thea, aber Lio zuckte nur mit seinen Schultern.
Vielleicht hat es irgendwas damit zu tun, dass sie enthauptet wurde und trotzdem noch lebt, spekulierte Thea, was sie vielleicht nicht zu laut sollte, falls Keiko in der Nähe war, sonst könnte das schlecht für sie enden.
Ich finde es gut, dass meine erste Nachtwache mit dir ist. Mit Sorona wäre es sonst auch in Ordnung gewesen, denke ich.
Lio sprang nicht richtig auf Theas Kommunikationsversuche an und antwortete stattdessen nur mit möglichst kurzen Antworten oder simplen Körperbewegungen, wie mit Schulterzucken oder einem Nicken. Thea gingen die Gesprächsthemen aus, aber sie konnte nicht anders, als weiter zureden. Bei jeder anderen Person hätte sie es schon längst auf sich beruhen lassen.
Es wird langsam kälter, oder? Gut, dass ich diese Robe gekauft habe. Ich vermute, dass dir nicht so kalt wird, da du ein Feuermagier bist? Lio nickte erneut nur. Thea seufzte und biss sich auf die Lippe.
Lass uns sehen, was gibt es noch ..., begann Thea und wurde beim Reden langsam etwas lauter. Ich trainiere ja täglich. Bisher besteht es nur daraus, dass ich auf meinen Allerwertesten falle und Keiko mich auslacht, aber ...
Thea ließ den Stock vor ihren Füßen fallen und schaute mit Thea an, der auch endlich in ihre Richtung schaute und nicht in das Lagerfeuer. Sie schaute sich ihn genau an und bemerkte dabei die Verwirrung in seinem Gesicht, die nie verschwand und in diesem Fall sogar seine Schnittwunden zu bedecken schien, die Thea in dem Moment nicht auffielen und die sie ganz vergessen hatte. Theas Temperament ging mit ihr durch und als sie in sein unschuldiges Gesicht sah, tat er ihr fast wieder leid. Sie wusste nicht, was es war, vielleicht, dass er wie ein niedlicher streunender Hund wirkte, aber Lio gab ihr ein warmes Gefühl in ihrer Brust und er ließ ihre Beine schwach werden, jedes Mal, wenn sie ihn nur anblickte.
Es … Es tut mir leid, da ging etwas mit mir durch, entschuldigte sich Thea, aber Lio schien immer noch verwirrt zu sein. Sie vermutete, er hätte vielleicht nichts gemerkt.
Es ist nur ...
Thea überlegte, wie sie es ihm sagen sollte. Sie hatte es tagelang versucht, sich jemanden aus der Gruppe zu nähern und Lio war der einzige, bei dem sie einigermaßen Erfolg hatte. Er gab ihr ein gutes Gefühl, wenn er in ihrer Gegenwart war und in Momenten, in denen er einmal nicht in ihrer Nähe war, gab er ihr trotzdem weiterhin ein gutes Gefühl, wenn sie an ihn dachte. Das Gefühl, das durch ihm in ihr ausgelöst wurde, war das einzig Gute für sie in dem ganzen Chaos. Gleichzeitig verletzte er sie aber auch, dadurch, wie er immer versuchte, innerlich Abstand zu bewahren. Thea würde das eine Gefühl am liebsten los werden und das andere umso mehr behalten, es umarmen, sich damit in ein Bett legen und es nicht mehr loslassen, um sich selbst damit vor Albträumen zu bewahren. Es war langsam an der Zeit für sie. Sie wusste, dass sie ihm nur schwer alles sagen konnte, was ihr durch den Kopf ging, aber sie musste ihm wenigstens einen Teil davon vermitteln und ernste Worte mit ihm reden.
Es ist nur … Du bist zwar immer da, aber auch immer fern. Manchmal kommst du mir näher, aber trotzdem versuchst du immer, Abstand zu bewahren, sodass ich nie weiß, was du gerade wirklich denkst von mir und dieser ganzen Situation. Ihr haltet alle immer Abstand.
Lio schwieg, aber er schien ihr trotzdem zuzuhören.
Bei den anderen komme ich irgendwie damit klar, aber nicht bei dir, weil ich langsam angefangen habe, dich zu mögen. Ich habe mich an dich in meiner Gegenwart gewöhnt und es fühlt sich gut an. Ich fühle mich nicht mehr alleine und es geht mir besser. Ich merke aber nie, welche Gefühle es in dir hervorbringt.
Thea ließ Lio etwas Zeit zum Atmen, damit er ihr antworten konnte und sie schien Erfolg dabei zu haben. Lio begann endlich zu reden und er sprach von dem Tag, an dem sie von den Schattenkreaturen angegriffen wurden. Er erzählte ihr davon, wie er in all dem Durcheinander zu ihr wollte, als er sich Sorgen um sie gemacht hatte. Als er wusste, dass sie wohlauf war, war er erleichtert gewesen und dann hatte er selbst Angst davor gehabt, was sie erwarten würde, weshalb er seine Hand auf ihre Schulter legte. Er schreckte aber etwas zurück, als sie danach nach seiner Hand griff. Zum Schluss bedankte er sich noch für das Essen, dass sie ihm spendiert und für die Kleidung, die sie ihm gekauft hatte, weil er vergessen hatte, sich vorher aufrichtig deswegen zu bedanken.
Das ist ein Fortschritt, lächelte Thea Lio an. In dem ruhigen Moment bemerkte sie seine Wunden am Gesicht und erinnerte sich auch wieder an die an seiner Hand.
Thea fasste an Lios Kinn und bewegte seinen Kopf sanft in ihre Richtung. Mit dem Daumen strich sie langsam über seine Wunden und sie benutzte ihre Magie, damit sie verheilten. Das machte sie so lange, bis alle Schnittwunden an seinem Gesicht verschwunden waren und sie seine Wangen etwas zu lange in ihren Händen hielt. Sie ließ sein Gesicht langsam los und griff nach seiner Hand. Beim Halten seiner Hand spürte sie, wie die Wunde langsam verschwand. Als Thea sie loslassen wollte, griff Lio fester nach ihrer Hand und ließ nicht los, was sie erneut zum Lächeln brachte.
Meine Haut ist daran gewöhnt, wenn ich sie heile, weshalb ich da nicht so viel Kraft verbrauche, aber wenn ich jemand anderen heile, werde ich schneller erschöpft. Ich sollte vielleicht nicht meine ganze Aufmerksamkeit nur dem Kampftraining widmen, sagte Thea und Lio nickte erneut.
Thea schaute ihn an, während er seine Aufmerksamkeit wieder dem Lagerfeuer schenkte. Thea versuchte die Stille zu genießen und sie verlor sich selbst, als sie ihn genauso verträumt ansah, wie er selbst das Lagerfeuer.
Ich... Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.